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Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)

Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)

Titel: Die Jägerin (Die Anfänge) (German Edition)
Autoren: Nadja Losbohm
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blickte auf das Geländer und packte es mit einem Kopfnicken. Dann aber fiel sein Blick gleich wieder auf den Abgrund, der sich unter unseren Füßen befand. Er begutachtete die massiven Holzbalken, die die Gänge stützten und in der Tiefe unter uns verschwanden. „Wahnsinn!“, hauchte er.
    Ich musste über seinen Gesichtsausdruck schmunzeln. Genauso war es mir ergangen, als ich zum ersten Mal hier herunter gekommen war. Noch heute dachte ich öfters daran, wie aufregend es wohl gewesen sein mochte, diese Kirche zu erbauen und zu wissen, welches Geheimnis sie hütete. „Kommen Sie, Mister Meyers,“ forderte ich ihn auf.
    Er nickte mit offenem Mund, blieb aber trotzdem stehen. Ich seufzte und packte ihn erneut am Arm, um ihn mit mir mitzuziehen. Ich führte ihn zur Küche. Es war schließlich Zeit fürs Abendessen, und ich wollte eine gute Gastgeberin sein und auch für sein leibliches Wohl sorgen. Als wir in den Raum traten, war Pater Michael schon dabei alles vorzubereiten. Er drehte sich herum und blickte uns erstaunt an, als er uns kommen hörte. Ich sah ihn entschuldigend an und hoffte auf sein Verständnis. „Es ist schon spät, und ich kann Mister Meyers nicht im Dunkeln allein nach Hause gehen lassen. Daher habe ich ihm angeboten, dass er heute bei uns übernachtet.“
    Pater Michael starrte mich lange an, ohne etwas zu sagen. Schließlich nickte er kaum merklich und widmete sich wieder dem Abendessen.
     
    Die Mahlzeit war eine stille Angelegenheit. Die beiden Männer, die mit mir an dem Tisch saßen, kauten schweigsam vor sich hin und starrten einander über ihre Gabeln hinweg unentwegt an. Besorgt musterte ich den Pater von der Seite. Sein ganzes Gesicht sprühte vor Verachtung und seine Blicke sprachen Bände. Ich entdeckte sogar die sonderbaren Lichtpunkte in seinen Augen. Sie waren zwar nicht so stark zu erkennen wie im Labor oder dem medizinischen Raum, aber sie waren da. In dem Licht der Küche waren sie nur etwas dunkler, und mir kam es vor, als würden seine negativen Gefühle für den Reporter sie zum Leuchten bringen. Ich verstand nicht, wieso Pater Michael nach all dieser Zeit immer noch so viel Groll gegen den anderen Mann hegte. Oder vielleicht war es auch Eifersucht, die ihn so merkwürdig machte? Bei dem Gedanken musste ich mir auf die Lippen beißen, um nicht laut aufzulachen. Es gab keinen Grund zur Eifersucht. Und schon gar nicht, wenn sie sich auf Mister Meyers bezog! Aber Pater Michaels Benehmen machte mich nervös, und ich rechnete damit, dass entweder aus seinen Augen jeden Moment Flammen sprühen oder er sich über die Tischplatte hinwegschmeißen und dem Reporter eins auf die Nase geben würde. Ich fragte mich, wie es erst in der Nacht sein würde, wenn sich die beiden Pater Michaels Schlafzimmer teilten. „Vielleicht sollte ich mich darauf einstellen, ein blutiges Szenario am Morgen vorzufinden,“ überlegte ich. Dann bekam ich allerdings Zweifel, dass der Pater dort bleiben würde. Ich hoffte darauf, dass er zu mir kommen würde, um bei mir zu schlafen. Aber ich vermutete stark, dass er in die Bibliothek gehen würde, um sich dort die Sessel zu einer Schlafgelegenheit zusammenzustellen. Er wollte sicher nicht, dass der Reporter bei einem frühmorgendlichen Spaziergang durch die unterirdische Welt ins Zimmer hereinplatzte und uns eng umschlungen vorfand.
     
    Ich machte mir solche Sorgen, dass Pater Michael eine Dummheit begehen könnte, sodass ich ihn begleitete, als er Mister Meyers zu seinem Schlafzimmer brachte. Aber alles lief ganz friedlich ab, und ich musste nicht eingreifen, als die Gute-Nacht- Wünsche gesagt wurden. Pater Michael und ich kehrten dann zurück in die Küche. Und während wir noch eine Tasse Tee tranken, plauderten wir über dieses und jenes. Wir scherzten und lachten. Und als der Pater mich schmunzelnd ansah und meinen Blick festhielt, suchte ich heimlich in seinen Augen nach den Lichtpunkten. Mein Versuch, es unauffällig zu tun, ging allerdings mächtig in die Hose.
    „Wonach suchst du?“, fragte er mich plötzlich und das Lächeln in seinem Gesicht verschwand. Jetzt war er es, der meinen Blick prüfte und versuchte einzuschätzen.
    Vor Verlegenheit, weil er mich dabei ertappt hatte, wie ich neugierig versucht hatte herauszufinden, was in seinen Augen vor sich ging, wurden meine Wangen heiß. Ich blickte auf die Flüssigkeit in meiner Tasse, von der feine graue Dampfwölkchen aufstiegen und überlegte, wie ich mich ausdrücken konnte. „Deine
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