Die Jaeger
dazu. Aber der wird doch nicht … oder doch? Hat Leif die Beutel genommen? Was zum Teufel könnte der mit dem Blut nur anstellen?« Er sah uns fragend an. Ich zuckte mit den Achseln und begann zu schwitzen.
Der Nabel der Welt
Es dauerte exakt zwei Tage, bis Kurt auf die Idee kam, sein Chef könne ein Grabflüchter sein. Er grübelte und dachte so intensiv nach, wofür Leif wohl Blutkonserven benötigen würde, dass ich förmlich Rauchwolken aus seinem Hirn aufsteigen sehen konnte. Ich versuchte dreimal, eine andere logische Erklärung für das Verschwinden des Blutes zu finden, es anderen in die Schuhe zu schieben, doch er sah mich nur skeptisch an und schüttelte den Kopf. »Sie sind nicht durch den Boden des Autos gefallen, die Karosserie war dort intakt, ich habe sie gesehen«, erwiderte er beim ersten Mal.
»Nein, es waren keine Tiere wie Wölfe hier, die die Beutel mit dem Blut gerochen und geholt haben könnten. Die hätten wir gesehen«, bekam ich beim zweiten Mal zur Antwort.
»Willst du mich verarschen, Moona? Es waren bestimmt auch keine unsichtbaren Leute hier. So etwas gibt es nicht«, erwiderte er beim dritten Mal. Da gab ich auf.
»Wir haben auch gedacht, es gäbe keine Vampire, und dann waren sie plötzlich da, aber gut, wenn du meine Vermutung nicht für möglich hältst, dann eben nicht.« Schulterzuckend verließ ich die Werkstatt und ging zurück in den Laden. Kurt war zwar wieder nachdenklich geworden und wägte gründlich ab, ob es nach dem Outing der Vampire möglicherweise tatsächlich Unsichtbare gab, aber mir war es inzwischen egal. Sollte er Leif doch verdächtigen, wieso beschützte ich meinen Chef überhaupt. Er hatte mir zwar meinen Job zurückgegeben, aber die Fremde kommandierte mich trotzdem herum, dass es eine wahre Freude war. Für sie jedenfalls. Für mich nicht. Ich hasste sie. Sie war einfach zu schön und zu klug für Mullendorf. Sie hatte nicht nur Leif um den kleinen Finger gewickelt, sondern auch den alten Eberhard und Gertrud, die nun noch häufiger in die Tankstelle kamen, um Alkohol aufzutanken. Sie flirtete mit beiden (!!!), dass mir fast schlecht wurde. Auch Gerhard war ihrem Zauber verfallen und brachte ihr täglich irgendwelche illegalen Sachen mit, um sich bei ihr einzuschleimen. Ich fungierte nur noch als Bedienung – als ein notwendiges Übel.
»Moona, bring mir noch ein Bier, damit ich Karen von meiner Reise nach Doppendorf erzählen kann.« »Moona, füll doch mal den Kaffee nach, sonst habe ich eine zu zittrige Hand, um Karen diesen Zaubertrick zeigen zu können.«
So ging das den ganzen Tag. Daher verdrückte ich mich so oft wie möglich in die Werkstatt, um mich nicht wie eine Sklavin zu fühlen, sondern wie ein wichtiges Rädchen im Mullendorfer Getriebe. Und um Kurt mein Herz auszuschütten. Aber weder das Eine noch das Andere funktionierte richtig. Kurt hörte mir kaum zu, weil er an dem Blutkonserven-Rätsel knabberte, und ich war genauso unwichtig in Mullendorf wie ein Floh im Wolfspelz.
Doch dann, als Kurt gerade einen Auspuff ausbesserte und ich ihm beschrieb, wie die alte Gertrud beim sechsten Korn Karen ihre Männergeschichten erzählte und dabei sogar die Farbe ihrer Unterwäsche nicht ausließ, kam ihm die Eingebung. Er richtete sich auf, was keine so gute Idee war, da er noch unter dem Auto lag. Doch als er daraufhin hervorgerollt kam und sich aufsetzte, sah ich in seinen vor Entsetzen weit geöffneten Augen, dass er auf die richtige Idee gekommen war.
»Er ist ein Vampir!«, flüsterte er ehrfurchtsvoll.
Ich stellte mich dumm. »Wer, Gertruds Ex? Bloß weil er auf ihren lila Schlüpfer stand, heißt das nicht …«
»Nein, Leif«, unterbrach er mich.
Ich schluckte. »Ach was, wie kommst du denn darauf? Ich denke immer noch, das waren die Unsichtbaren. Ich habe das Gefühl, dass in letzter Zeit andere Sachen verschwinden, zum Beispiel meine Haarbürste und ein altes Fotoalbum von mir. Ich kann sie einfach nicht finden. Das müssen Unsichtbare gewesen sein.«
Er sah mich immer noch mit riesigen Augen an. »Das ist so cool!«, sagte er plötzlich lächelnd. »Leif ist ein Grabflüchter, ich hab immer gewusst, dass er etwas Besonderes ist. Das ist so cool!«
Immerhin flippte er nicht aus, das war gut. »Falls es stimmt, solltest du ihm das auf keinen Fall sagen, sonst hast du deinen letzten Atemzug getan«, riet ich so leicht und unbekümmert wie möglich, mich daran erinnernd, wie Leif reagiert hatte, als ich herausfand, was er war.
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