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Die Inselvogtin

Die Inselvogtin

Titel: Die Inselvogtin
Autoren: Sandra Lüpkes
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eine Lanze ausgestreckt.
    Maikea wusste, so konnte sie ihn nicht überwältigen. Um das Netz über ihn zu werfen, müsste sie ihm direkt gegenübertreten, und das war zu gefährlich. Also lief sie weiter, ins aufgewühlte Meer hinein, trotzte den mannshohen Wellen und ließ sich auch von der Kälte nicht beirren. Hier war sie sicher, denn Weert würde es nicht wagen, den Strand zu verlassen.
    »Ich bleibe hier stehen, bis dich die nächstbeste Welle umwirft«, drohte er. »Du wirst mir wie ein Fisch vor die Füße geschwemmt, und ich muss nur noch zustoßen …«
    Hart brachen die Meeresmassen über Maikeas Rücken, und wenn die Wellen zurückrollten, zogen sie den sandigen Boden unter ihren Füßen mit sich. Maikea taumelte und ging in die Knie.
    Nein, er durfte nicht recht behalten! Sie wollte nicht sein Opfer werden. Dann wäre alles, was sie getan hatte, umsonst gewesen.
    Doch die Wasserberge türmten sich immer höher, warfen sie vor und zurück. Die Wucht des Meeres zehrte an ihren Kräften, und mit Schrecken bemerkte sie, wie müde und schwach sie sich mit einem Mal fühlte. Sie saß in der Falle. Hinter ihr tobte das Meer, vor ihr der Mann, der so viel Leid über sie und die Menschen, die sie liebte, gebracht hatte. Maikea dachte an Josef Herz, den Kartenmaler, an Helene, an Jantje … Sie alle hatte Maikea schon verloren. Und wenn sie jetzt aufgab, würde sie auch Jan verlieren. Dann hatte Weert alles zerstört. Das durfte sie nicht zulassen. Sie musste sich rächen an ihm, musste ihn daran hindern, weiterzumachen. Sie musste ihn vernichten!
    Plötzlich stieß etwas Hartes gegen ihre Beine. Es war einer der Pfähle, der sich aus den Buhnen gelöst haben musste. Als habe das Meer ihre Gedanken erraten, schickte es ihr auf diesem Weg eine neue Waffe, einen schweren, dicken Stamm, so groß wie ein Mann, vollgesogen mit Wasser. Niemals würde sie dieses Ding oberhalb der Wasserfläche tragen können. Es gab also nur einen Weg: Sie musste Weert unter Wasser angreifen. Doch ihr Gegner stand eine Elle vom Meer entfernt, und sobald eine höhere Welle kam, sprang er zurück.
    Maikea legte das Fischernetz auf das hintere Ende des Holzes und band sich schnell die Schnüre um die Hüfte. So blieb sie mit ihrer neuen Waffe dicht verbunden, wenn sie nach vorn schoss. Maikea blickte sich um. Die Brecher warfen sich übereinander und peitschten unzählige Gipfel aus Wasser in die Höhe.
    Ein Leben lang war die Flut eigentlich ihre Feindin gewesen, die sie stets zu bändigen, zu bewältigen versuchte. Nun musste sie ihr vertrauen. Denn wenn der Plan erneut misslang, war Maikea ihrem Erzfeind ausgeliefert. Dann gab es kein Entkommen mehr. Hinter ihr sammelte sich das Wasser zu einer gewaltigen Welle, der Schaum tanzte schon auf der Spitze. Doch sie wuchs immer weiter, höher als die Wogen links und rechts, höher als sie selbst, vielleicht zu hoch. Maikea konnte nun nicht mehr flüchten, sie musste sich dem nassen Wall hingeben, mit ihm reisen, in ihn hineintauchen. Sie hielt die Luft an, kniff die Augen zusammen, hörte das Dröhnen und das Rauschen und das Ächzen näher kommen. Wenn diese riesige Welle sie einfach nur geradeaus tragen würde, dann hatte sie ihn!
    Das Wasser brach über ihr zusammen und erfasste sie von allen Seiten, so schnell und so mächtig, dass Maikea kaum Zeit blieb, die Richtung zu bestimmen. Der Pfahl schnellte vor und wurde plötzlich in der Bewegung abgebremst. Maikea konnte nichts sehen und nichts hören. Und sie wusste nicht, ob sie Weert tatsächlich getroffen und ihn umgerissen hatte. Noch während der Sand an ihrem Körper rieb, sie den Boden fühlte und endlich wieder Luft holen konnte, band sie das Netz los. Ihre Beine schmerzten, die Strömung hatte mit ihnen gespielt und sie herumgewirbelt. Doch Maikea konnte aufstehen. Sie sah sich kampfbereit um.
    Weert lag neben ihr im Wasser und wurde immer wieder von Wellen überspült, die dann langsam zurück ins Meer flossen. Seine Augen waren schreckensweit geöffnet, die Angst in seinem Gesicht nicht zu übersehen.
    Den Degen hatte ihm die Welle bereits entrissen, Maikea sah die Waffe mit der Strömung im Meer verschwinden. Schnell breitete sie das Netz über Weert aus und wickelte ihn darin ein. Wie ein Wahnsinniger schlug er um sich, versuchte, es von sich fortzuschieben, und verfing sich dabei immer mehr in den Leinen.
    «Hilf mir!«, schrie er sie an, doch als Wasser in seinen Mund schwappte, musste er husten und würgen. Er versuchte, auf
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