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Die Inselvogtin

Die Inselvogtin

Titel: Die Inselvogtin
Autoren: Sandra Lüpkes
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Kindheit. Und er nahm es persönlich, dass die Nordsee ihn mit haushohen Wellen, tückischen Grundseen und reißenden Strömungen davon abzuhalten versuchte.
    Endlich hatte er nun wieder festen Boden unter den Füßen. Weert hörte das dünne Gebimmel der Inselkirche, die dort vor ihm lag. Und ein schwaches Licht durch ihre kleinen Fenster verriet, dass die Juister sich abermals aufs Beten konzentrierten. Anscheinend war es mit ihrem Vertrauen in die Bauwerke von Maikea Boyunga doch nicht so gut bestellt.
    Weert zog sich die warme Schaffellweste dichter um die Schultern. Seine Lederstiefel versanken im nassen Sand, und obwohl sie vom besten Auricher Schuster gefertigt worden waren, drang das kalte Wasser hinein und rieb seine Haut bei jedem Schritt wund. Er wartete nicht ab, bis Habbo und die übrigen Soldaten so weit waren. Der ehemalige Gefängniswärter war mittlerweile sein ständiger Begleiter. Sollte er doch helfen, das Schiff zu vertäuen, Weert wollte nicht einen Moment verstreichen lassen.
    Mit lautstarkem Räuspern trat er in das Gotteshaus. Die Gemeinde kniete auf den Bänken und betete, doch sein Auftritt war zu gewaltig, als dass nicht alle ihre Köpfe zu ihm herumdrehten.
    »Seid Ihr ein Schiffbrüchiger?«, fragte der Pastor, ein dünner, unscheinbarer Mann, der, soweit Weert informiert war, schon seit einigen Jahren auf Juist lebte.
    »Nein, ich bin Weert Switterts, ehemals Geheimrat im Fürstentum.« Ein Raunen ging durch die Reihen. Einige ältere Gemeindemitglieder erkannten nun den kleinen Bauernjungen wieder, doch zu freuen schien sich niemand über seine Ankunft.
    Auf den ersten Blick konnte Weert zwischen den Kirchenbänken weder Maikea Boyunga noch ihren Jungen ausmachen. Es hätte ihn auch stark verwundert, sie hier anzutreffen.
    »Ich bin mit offiziellem Auftrag der neuen Regierung hier. Sagt mir, wo ich den Sohn der Maikea Boyunga finde!«
    Ein Mann mit wilder Haarmähne kam auf ihn zu, seine Miene war eindeutig feindselig.
    »Ich bin Eyke, der Inselvogt. Ja, genau, der Mann, den Ihr vor Jahren in Aurich hängen lassen wolltet! Doch Carl Edzard hat uns damals amnestiert. Wie Ihr Euch denken könnt, macht uns Euer Auftreten misstrauisch. Ein so hoher Regierungsmann fährt bei einem Herbststurm nach Juist, um einen Jungen zu suchen … Also, was wollt Ihr von dem kleinen Jan?«
    Weert hatte keine Lust, sich von diesem Gauner bloßstellen zu lassen. »Ihr seid Euren Posten ganz schnell wieder los, das liegt jetzt alles wieder in meiner Hand.«
    »Ihr könnt mir schon lange nicht mehr drohen«, entgegnete Eyke, ohne mit der Wimper zu zucken. Doch dann wurde die Kirchentür erneut aufgestoßen, und der Gesichtsausdruck des Inselvogtes veränderte sich schlagartig. Er wich zurück und machte den bewaffneten Soldaten Platz.
    Weert gab Anweisung, die Insulaner in Schach zu halten. Selbstsicher grinste er in die Menge.
    »Meine Männer bleiben erst einmal hier. Und wenn doch noch einem von Euch einfallen sollte, wo das Kind gerade steckt … Das würde Eure Wartezeit erheblich verkürzen.«
    Niemand sagte ein Wort. Ein kleines Mädchen mit verängstigtem Blick holte kurz Luft, als wolle sie etwas sagen, aber die Mutter schob ihr schnell die Hand auf den Mund und zog die Kleine an sich.
    Weert wies Habbo mit einem Kopfnicken an, sich das Kind mit den Zöpfen zu schnappen. Er wusste, es bereitete dem Kerl keine Probleme, sein Messer an einen Mädchenhals zu drücken.
    »Und? Mir scheint, als wüsstest du, wo dieser Jan zu finden ist.«
    Die Augen der Kleinen waren starr vor Angst. Kein Wort kam über die zitternden Lippen des Kindes.
    »Lasst meine Tochter los!«, rief ein Mann aus den vordersten Reihen. »Ich sage es Euch. Wenn Ihr wollt, zeige ich Euch auch den Weg. Aber tut meiner kleinen Tochter nichts!«
    »Na also«, sagte Weert. »Dann bitte ich darum.«
    Gemeinsam verließen sie die Kirche und wurden draußen von einem Sturm empfangen, der sich in den letzten Minuten zu einem ausgewachsenen Orkan gesteigert hatte. Der Wind griff Weert unter die Kleidung, schubste ihn von links nach rechts, als wolle er sich über ihn lustig machen.
    Der verängstigte Mann zeigte auf ein durchaus ansehnliches Häuschen, aus dessen Fenstern Kaminfeuer leuchtete. »Dort wohnt Maikea mit ihrem Sohn und ihrem Ehemann. Aber bitte, Ihr wollt der Familie doch kein Leid zufügen?«
    »Das lasst mal meine Sorge sein!«, fuhr Weert ihn an und schickte ihn mit einem groben Schubs wieder zur Kirche zurück. Was er nun
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