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Die Insel der Dämonen

Die Insel der Dämonen

Titel: Die Insel der Dämonen
Autoren: Torsten Fink
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vorwärts. Ein paar Krähen krächzten in einiger Entfernung. Sie blieb stehen und lauschte auf die Stimme. Sie schwieg. War das nun ein gutes Zeichen? Marguerite schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Zeit, sich über Omen und Vorzeichen Gedanken zu machen.
    Im Wald lag der Schnee nicht sehr hoch und es waren einzelne Spuren zu erkennen. Offenbar nutzten die großen Tiere diesen Weg auch im Winter für ihre Wanderungen - doch sie fand keine Spur von Damienne.
    Marguerite kam gut voran und erreichte die Elchfelsen noch vor dem Mittag. Sie hielt an, rastete einen Moment und aß, dann fütterte sie Henriette. Das Kind sah sich mit staunenden Augen um. Es war noch nie so tief im Wald gewesen, und es schien sich nicht sicher, was es davon halten sollte. Marguerite streichelte zärtlich Henriettes Gesicht. Sie erinnerte sich an jenen Tag, an dem Henri hier den ersten Elch erlegt hatte. Es schien hundert Jahre her zu sein. Sie seufzte, machte sich wieder marschfertig, und dann ging sie weiter nach Norden.
    Hinter den Felsen war der Wald fremd, ab hier kannte sie die Insel nicht. Sie kontrollierte Zunder und Feuerstein und nahm eine der Arkebusen in die Hand, um sie schneller feuerbereit zu haben.
    Inzwischen schien ihr der Wald völlig frei von allem Leben; selbst die Krähen schwiegen. Laubbäume wurden seltener und bald umgab sie dichter Nadelwald. Der Pfad wurde immer schmaler, von dunklen Bäumen bedrängt, und sie hatte Mühe, mit Henriette auf dem Rücken und den Waffen voranzukommen. Doch sie kämpfte sich weiter nach Norden. Unterwegs sah und hörte sie kein einziges Tier. Dann aber schlich sich, ganz langsam, wieder ein Geräusch in den Wald: zunächst sehr leise, fast unhörbar, wie das Raunen des Waldes bei schwachem Wind, nur war es völlig windstill und die Föhren standen stumm und unbewegt. Marguerite blieb stehen, lauschte - es war nicht die Geisterstimme, aber es klang bedrohlich. Sie ging weiter.
    Das Murmeln schwoll an und wurde lauter. Jetzt erkannte sie, daß dort nicht eine oder zwei und auch nicht zehn, sondern Hunderte Stimmen von Norden her in den Wald drangen, gutturale, tiefe und mißtönende Laute. Es war ein Heulen, Seufzen und Raunen, wie sie es schon einmal gehört hatte: damals mit Henri, hinter dem Elchfelsen, als sie beschlossen, nicht weiter nach Norden zu gehen.
    Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Henri mußte das auch gehört haben, und er hatte recht - dort hinten mußte das Tor zur Hölle liegen! Was sie da hörte, waren die Stimmen von tausend gequälten Seelen! Am liebsten wäre sie umgekehrt. Doch sie wollte Damienne finden.
    Marguerite wagte es nicht, nach ihr zu rufen, aber sie nahm all ihren Mut zusammen und ging weiter. Das Gelände stieg an und der Nadelwald wurde lichter. Der Pfad führte Marguerite schließlich auf eine schmale, schneebedeckte Lichtung. Dahinter stiegen die nördlichen Hügel steil an. Das unmenschliche Stöhnen und Jammern kam von jenseits dieser Höhen.
    Marguerite blieb erneut stehen. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß Damienne tatsächlich genug Mut aufgebracht haben sollte, diese Hügel hinaufzuklettern - selbst von Henri konnte sie sich das kaum vorstellen. Sie zögerte; alles in ihr sagte, daß es besser wäre umzukehren. Doch sie war schon zu weit gegangen. Wenn sie nicht herausfand, was hinter diesem Hügel lag, würde die Ungewißheit sie den Rest ihres Lebens quälen. Sie atmete tief durch und marschierte weiter. Es fiel ihr mit jedem Schritt schwerer, den Hügel hinaufzukommen, und das lag nicht allein an der Last, die sie trug. Sie nahm den Tragebeutel mit ihrer Tochter vom Rücken. Henriette schien der Höllenchor mißtönender Stimmen nichts auszumachen. Sie runzelte leicht die schmalen Augenbrauen und blickte etwas ernster als sonst, aber Angst schien ihre Tochter nicht zu haben.
    Marguerite war für einen Moment versucht, Henriette in einer sicheren Felsnische zurückzulassen. Unter keinen Umständen wollte sie das Leben und die Seele ihrer Tochter in Gefahr bringen. Doch sie verwarf den Gedanken schnell wieder. Die Vorstellung, das Kind allein in der Wildnis zurückzulassen - und sei es nur für eine Viertelstunde -, war ihr unerträglich.
    Sie fütterte Henriette, dann schnallte sie sich das Kind wieder auf den Rücken und kletterte weiter.
    Marguerite arbeitete sich bedächtig voran. Auf keinen Fall durfte sie stürzen. Die Anspannung half ihr, ihre Angst für einige Momente zu vergessen.
    Sie näherte sich langsam, aber stetig dem
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