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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder
Autoren: Ransom Riggs
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wurde.
    »Jacob, Anruf auf Leitung zwei, Jacob Leitung zwei.«
    Ich ließ sie mit ihrem granatapfelroten Gesicht inmitten der Ruinen meines Turms stehen, und sie blickte mir wütend nach.
    * * *
    Der Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter war ein feuchter, fensterloser Raum. Dort traf ich auf Linda, die in der Abteilung mit den Medikamenten arbeitete. Neben dem grell leuchtenden Getränkeautomaten mümmelte sie an einem Sandwich ohne Kruste und deutete mit dem Kopf zum Wandapparat.
    »Leitung zwei. Wer auch immer dran ist, er klingt total
ausgeflippt.
«
    Ich nahm den baumelnden Hörer in die Hand.
    »Yakob? Bist du’s?«
    »Hi, Grandpa Portman.«
    »Yakob, Gott sei Dank! Ich brauche meinen Schlüssel. Wo ist er?« Er klang aufgeregt und rang nach Luft.
    »Welcher Schlüssel?«
    »Spiel keine Spielchen mit mir!«, fuhr er mich an. »Du weißt, welchen Schlüssel ich meine.«
    »Du hast ihn bestimmt verlegt.«
    »Dein Vater hat dich dazu angespitzt«, fluchte er. »Komm, sag’s mir, er muss es ja nicht erfahren.«
    »Niemand hat mich zu irgendetwas angespitzt.« Ich versuchte, das Thema zu wechseln. »Hast du heute Morgen deine Pillen genommen?«
    »Sie sind gekommen, um mich zu holen, verstehst du? Ich weiß nicht, wie sie mich nach all den Jahren finden konnten – aber es ist so. Und womit soll ich mich verteidigen, etwa mit dem verdammten Buttermesser?«
    Es war nicht das erste Mal, dass ich ihn so reden hörte. Mein Großvater war fünfundachtzig Jahre alt, und offen gesagt verlor er langsam den Verstand. Zunächst waren die Anzeichen nur vereinzelt aufgetreten, er vergaß, Lebensmittel einzukaufen, oder sprach meine Mutter mit dem Namen meiner Tante an. Aber während des Sommers hatte seine schleichende Demenz eine grausame Wende genommen: Die fantastischen Geschichten, die er über sein Leben während des Krieges erfunden hatte – die Monster, die verzauberte Insel –, waren für ihn zu einer grausamen Realität geworden. Vor allem während der letzten Wochen hatte er sehr nervös gewirkt, und meine Eltern, die befürchteten, er könne für sich selbst zu einer Gefahr werden, spielten ernsthaft mit dem Gedanken, ihn in einem Altersheim unterzubringen. Aus irgendeinem Grund erhielt jedoch nur ich diese apokalyptischen Anrufe von ihm.
    Wie immer gab ich mein Bestes, um ihn zu beruhigen. »Du bist in Sicherheit. Es ist alles in Ordnung. Ich komme später bei dir vorbei und bringe uns ein Video mit. Okay?«
    »Nein! Bleib, wo du bist! Hier ist es nicht sicher!«
    »Die Monster sind nicht mehr hinter dir her. Du hast sie im Krieg alle getötet, erinnerst du dich?« Ich drehte mich zur Wand, damit Linda dieses bizarre Gespräch nicht mithören konnte. Sie tat so, als würde sie eine Modezeitschrift lesen, und warf mir zwischendurch neugierige Blicke zu.
    »Nicht alle«, widersprach er. »Nein, nein! Ich habe viele erledigt, sicher, aber es gibt immer noch welche.« Ich hörte, wie er durchs Haus lief, Schubladen aufriss, Türen zuschlug. Er drehte zweifellos durch. »Aber du bleibst weg, hast du gehört? Ich komme schon klar – ihnen die Zungen rauszuschneiden und die Augen auszustechen, das ist die einzige Chance! Wenn ich nur diesen verdammten
Schlüssel
finden könnte!«
    Besagter Schlüssel öffnete einen riesigen Spind in Grandpa Portmans Garage. Darin befand sich ein Arsenal an Schusswaffen und Messern, das ausreichen würde, um eine kleine Armee auszurüsten. Es ist nicht übertrieben, zu behaupten, dass Grandpa Portman ein Waffennarr war: Er hatte sein halbes Leben damit verbracht, Waffen zu sammeln, reiste zu Messen in andere Bundesstaaten, unternahm lange Jagdausflüge und schleppte seine sich sträubende Familie an sonnigen Wochenenden auf Schießplätze, damit alle den Umgang mit Waffen lernten. Er liebte seine Waffen so sehr, dass er sie manchmal sogar mit ins Bett nahm. Als Beweis besaß mein Dad einen alten Schnappschuss: Grandpa Portman beim Mittagsschlaf, mit der Pistole in der Hand.

    Als ich meinen Dad fragte, warum Grandpa so verrückt auf Waffen sei, erklärte er mir, dass so etwas bei ehemaligen Soldaten schon mal vorkäme – oder bei Menschen, die etwas Traumatisches erlebt hatten. Ich vermutete, dass sich mein Großvater nach allem, was er durchgemacht hatte, nirgendwo sicher fühlte, nicht einmal in seinem eigenen Zuhause. Ironischerweise traf das jetzt, da ihn der Verfolgungswahn überwältigte, sogar zu. Angesichts all dieser Waffen war er zu Hause wirklich nicht sicher. Deshalb
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