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Die indische Erbschaft

Die indische Erbschaft

Titel: Die indische Erbschaft
Autoren: Horst Biernath
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Milliönchen — es wäre nicht auszudenken!“ sagte Charlotte aus voller Brust.
    „Fangt bloß nicht zu spinnen an!“ knurrte Wilhelm Ströndle. Er hatte die Brille zusammengeklappt und starrte in die Zeitung. Seine Augen wirkten ohne Glas immer ein wenig blind.
    „Auf jeden Fall schreibst du heute noch hin!“ rief Werner.
    „Jaja, am Abend, in aller Ruhe.“
    „Tu doch nicht so, als ob dich die Neugier nicht genauso kitzelt wie uns!“ sagte Charlotte leicht verärgert; „nimm doch die Papiere ins Büro mit...“
    Als wäre ein Stichwort gefallen, hoben sie alle die Köpfe und blickten zur Uhr auf dem Küchenbüfett empor. Es war fünf Minuten vor acht. Sie sprangen auf, als wäre Großvaters Kanonenschlag unter dem Tisch explodiert.
    „Um Himmels willen!“ schrie Martha auf, „um halb acht hätte ich im Geschäft sein müssen!“
    „Ich schreib dir einen Entschuldigungszettel“, sagte Werner.
    „Ich werde dir gleich einen Entschuldigungszettel auf die Backe geben!“ erwiderte Martha und griff nach ihren Siebensachen, um aus dem Hause zu stürzen.
    Die anderen kippten die kalt gewordenen Reste aus ihren Tassen und stopften die Brotreste in sich hinein, nur Werner streckte die Beine noch einmal unter den Tisch.
    „Ich weiß nicht, weshalb ihr so rennt... Vielleicht haben wir es gar nicht mehr nötig!“ Er hob lässig die Hand, winkte einen imaginären Oberkellner heran, bestellte ein Dutzend Austern und eine halbe Pulle Sekt, und spielte den reichen jungen Mann aus dem Märchen.

2.

    Natürlich kam Wilhelm Ströndle zu spät ins Geschäft, und die Kontoristin Meta Opferbaum empfing ihn mit so einem beleidigten Ausdruck ihres Altjungferngesichtes, als hätte er ihr mit seiner Verspätung einen persönlichen Kummer angetan. „Der Chef hat schon zweimal nach Ihnen gefragt, Herr Ströndle! Und er ist nicht gerade gut gelaunt...“
    „An die dicke Luft am Montagmorgen bin ich gewöhnt“, sagte er achselzuckend.
    „Fünfundvierzig Mille Außenstände! Mehr als sechs Prozent über die üblichen fünfzehn…“, bemerkte sie spitz.
    „Wem erzählen Sie das?“ brauste er auf, „kümmern Sie sich doch gefälligst um Ihren eigenen Kram. Meine Bücher kenne ich! Das sind meine Sorgen und nicht Ihre, verstehen Sie!“
    „Den Ton verbitte ich mir! In dem Feldwebelton können Sie mit dem Stift reden, aber nicht mit mir!“
    In diesem Augenblick läutete das Telefon, und Fräulein Opferbaum schlug so überraschend schnell mit der Stimme um, als hätte sie die Zunge mit einer blitzartigen Geschwindigkeit aus einem Essigglas herausgenommen und in einen Honigtopf hineingesteckt. „Jawohl, Herr Vollrath, der Ströndle ist soeben gekommen... ich sag es ihm, daß er sofort zu Ihnen ins Büro kommen soll.“ Sie hängte ein und deutete mit einer Daumenbewegung in die Richtung des Chefbüros.
    „Was heißt hier der Ströndle?“ fauchte Wilhelm Ströndle sie an, „für Sie bin ich immer noch Herr Ströndle! Merken Sie sich das, Fräulein Opferbaum!“
    Die Büroangestellten, die der hitzigen Auseinandersetzung mit heimlichem Vergnügen gefolgt waren, duckten sich und ließen die Federn eifrig über ihre Bücher kratzen. Sie gönnten es der Opferbaum, daß ihr einer einmal über das scharfe Maul fuhr. Sie war die älteste Angestellte im Betrieb, sie führte die Kasse und das Kontor seit siebenundzwanzig Jahren und entwickelte, je älter und säuerlicher sie wurde, immer deutlicher despotische Neigungen. Wilhelm Ströndle öffnete die Tür zu dem kleinen Büro, das er mit Herrn Septimus Knapp, dem Hauptbuchhalter, teilte. Knapp begrüßte ihn mit einem beifälligen Kopfnicken: „Der Giftschleuder muß man ab und zu mal die Zähne abbrechen. Das wird ja von Tag zu Tag schlimmer mit ihr. Das sind die Säfte. Wenn die einen Mann hätte, wäre sie anders.“
    „Sie können sich ja mal für die Firma opfern...“
    „Danke verbindlichst, nach Ihnen, werter Herr, nach Ihnen!“ Knapp grinste und deutete mit dem Kinn zur Doppeltür hin, die das Chefkontor vom Hauptbüro trennte. „Der Alte ist völlig durchgedreht. Einen Kopf hat er auf wie ein Löwe, und ein Genick, so rot und dick, daß man meinen könnte, im nächsten Moment ist der Schlaganfall fällig. Nun gehen Sie schon rüber, sonst treffen Sie ihn womöglich nicht mehr lebend an. Und viel Vergnügen!“
    Wilhelm Ströndle holte heimlich Luft und klopfte an. Das Herein des Chefs klang tatsächlich wie das Gebrüll eines zornigen Löwen. Oskar Vollrath, der
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