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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge
Autoren: Dan Simmons
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nicht«, sagte Brawne. »Sie soll Ihnen Glück für die Reise bringen.«
    Der Konsul schüttelte den Kopf, umarmte Brawne, gab den anderen die Hand und fuhr mit dem Lift zu seinem Schiff hinauf. Brawne und die anderen gingen zur Schalterhalle zurück.
    Keine Wolke war am lapislazulifarbenen Himmel von Hyperion zu sehen. Die Sonne tauchte die fernen Gipfel des Bridle Range in kräftige Farben und versprach einen warmen Tag.
    Brawne blickte über die Schulter zur Stadt der Dichter und dem Tal dahinter. Die Spitzen der höheren Zeitgräber waren gerade noch zu erkennen. Ein Flügel der Sphinx spiegelte das Licht wider.
    Ohne nennenswerten Lärm und mit geringer Hitzeentwicklung erhob sich das Ebenholzschiff des Konsuls auf einer reinen blauen Flamme und stieg dem Himmel entgegen.
    Brawne versuchte sich an die Gedichte zu erinnern, die sie gerade gelesen hatte, und an die letzten Strophen des längsten und besten unvollendeten Gedichts ihres Liebsten:
    Sogleich eilte vorüber der strahlende Hyperion;
Des flammend Gewand von seinen Fersen wallte,
Und stieß ein Brüllen aus, als wie von irdisch Feuer,
Vor dem die lichten Horen zaghaft flohen,
Und mit den Taubenschwingen schlugen. Weiter zog er…
    Brawne spürte den warmen Wind, der ihr Haar zerzauste. Sie hob das Gesicht himmelwärts, winkte, versuchte gar nicht erst, die Tränen zu verbergen oder wegzuwischen, winkte heftiger, als das kostbare Schiff sich schräg legte und auf seiner grellblauen Flamme dem Himmel entgegenstieg; dann erzeugte
es – wie ein ferner Ruf – einen plötzlichen Überschallknall, der über die Wüste grollte und von den fernen Gipfeln widerhallte.
    Brawne weinte und winkte, winkte unablässig, dem entschwindenen Konsul, dem Himmel, Freunden, die sie nie wiedersehen würde, einem Teil ihrer Vergangenheit und dem Schiff, das emporstieg wie ein makelloser Pfeil aus Ebenholz, der vom Bogen eines Gottes abgeschossen worden war.
    Weiter zog er …

NACHWORT
    Sehen wir es so: Sie haben eine knapp 1400seitige literarische Achterbahnfahrt hinter sich – selten traf dieses klischeebehaftete Prädikat auf einen Text so zu wie auf Dan Simmons’ »Hyperion-Gesänge« –, und wie bei einer Achterbahn üblich fährt die Gondel am Ende wieder in jenen geraden, ruhigen Abschnitt ein, wo die Fahrt begonnen hat. Und wo hat sie noch einmal begonnen? Ach ja, hier:
    Der Hegemoniekonsul saß auf dem Balkon seines Ebenholzraumschiffs und spielte Rachmaninows Prélude in cis-Moll auf einem uralten, aber gut erhaltenen Steinway, während sich große grüne Saurierwesen unten in den Sümpfen drängten und heulten.
    Die Science Fiction hat in ihrer Geschichte viele gute erste Sätze hervorgebracht – unter meinen persönlichen Greatest Hits rangieren H.G. Wells’ »Der Zeitreisende (denn so wollen wir ihn der Bequemlichkeit halber nennen) war im Begriff, uns eine geheimnisvolle Sache darzulegen«, George Orwells »Es war ein strahlend-kalter Apriltag, und die Uhren schlugen dreizehn« und Philip José Farmers »Jim Grimson hatte nie vorgehabt, die Hoden seines Vaters zu verspeisen« –, und der erste Satz von »Die Hyperion-Gesänge« zählt ganz sicher zu den Besten. Wie der Stimmton eines Meisterorchesters enthält dieser Satz bereits das ganze erzählerische und ästhetische Programm des Kommenden, ohne es in irgendeiner Form preiszugeben: den »gothic sense of wonder«, die Fin-de-siècle-Melancholie, die interplanetarische Action.

    Simmons’ erster Satz ist allerdings nicht nur auf die Binnenstruktur des Textes bezogen hochinteressant, sondern er illustriert auch wunderbar, in welcher Weise sich die Science Fiction von der zünftigen, üblicher-, aber fälschlicherweise »realistisch« genannten Literatur fundamental unterscheidet: nämlich in der Wahrnehmung. Samuel R. Delany, amerikanischer Literaturwissenschaftler und selbst Science-Fiction-Autor, hat einmal den Versuch unternommen, mit Menschen, die nichts mit dem Genre am Hut haben, ansonsten aber hochgebildete Leser literarischer Texte sind, einen typischen Satz aus einem Science-Fiction-Roman ganz langsam, Wort für Wort durchzugehen, und es stellte sich heraus, dass diese Menschen große Mühe hatten, sich eine alternative Welt vorzustellen, die der Autor in der Zukunft angesiedelt hat und der Aussage in dem jeweiligen Satz erst ihren Sinn verleiht; und dass dies nicht so sehr ihrem Mangel an Fantasie generell zuzuschreiben war – sie haben ja keine Probleme, ein Wohnzimmer bei Austen,
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