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Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)

Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)

Titel: Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)
Autoren: Ted Chiang
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Bewegung von Zahnrädern, war das Problem um einiges schwerwiegender, denn was konnte die Ursache dafür sein, dass die Geschwindigkeit der Luftströmungen in unseren Gehirnen abnahm? Es konnte unmöglich daran liegen, dass der Luftdruck in unseren Füllstationen gesunken war, denn der Druck in unseren Lungen ist so stark, dass er von einer Reihe von Regulatoren abgemindert werden muss, bevor die Luft unsere Gehirne erreicht. Meine Vermutung lautete, dass das Absinken des Drucks woanders seinen Ursprung hatte: Der uns umgebende Atmosphärendruck nahm zu.
    Woran konnte das liegen? Kaum hatte ich diese Frage in Gedanken formuliert, drängte sich mir die offensichtliche Antwort auf: Unser Himmel war offenbar nicht unendlich hoch. Irgendwo jenseits unseres Gesichtsfeldes mussten sich die Chromwände, welche unsere Welt umgaben, nach innen krümmen, um eine Kuppel zu bilden. Unser Universum ist ein geschlossener Raum, kein offener Brunnenschacht. Und in diesem Raum sammelt sich langsam die Luft an, bis die Druckverhältnisse in der Kammer und im darunter liegenden Speicher sich angeglichen haben.
    Das ist der Grund, weshalb ich zu Beginn dieses gravierten Berichts feststellte, dass nicht die Luft der Quell des Lebens ist. Luft kann weder hergestellt noch abgebaut werden; die Gesamtmenge an Luft im Universum bleibt gleich, und bräuchten wir nur Luft zum Leben, müssten wir niemals sterben. Die Wahrheit aber ist, dass unterschiedlicher Luftdruck der Quell des Lebens ist – Luftströme aus Bereichen mit hohem in solche mit niedrigem Luftdruck. Unsere Gehirnaktivität, die Bewegungen unserer Körper, die Verrichtungen der Maschinen, die wir bauen – all das wird angetrieben durch Luftströme, durch eine Kraft, die darauf beruht, dass Bereiche mit unterschiedlich starkem Druck einen Ausgleich anstreben. Wenn überall im Universum derselbe Druck herrscht, verfällt die Luft in Bewegungslosigkeit und wird unbrauchbar. Eines Tages werden wir von stillstehender Luft umgeben sein und keinen Nutzen mehr aus ihr ziehen können.
    Es ist keineswegs so, dass wir wirklich Luft verbrauchen. Die Luftmenge, die ich jeden Tag aus einem neuen Paar Lungen beziehe, entspricht genau der Luftmenge, die aus den Gelenken meiner Gliedmaßen und den Nähten meiner Verkleidung entweicht und sich dann mit der Luft in der mich umgebenden Atmosphäre vereint. Ich überführe lediglich Luft aus einem Bereich mit hohem Druck in einen mit niedrigerem. Mit jeder Bewegung meines Körpers trage ich etwas zum Ausgleich des Luftdrucks in unserem Universum bei. Mit jedem Gedanken, den ich denke, bringe ich uns jenem tödlichen Druckausgleich näher.
    Unter anderen Umständen wäre ich aufgrund dieser Erkenntnis von meinem Stuhl aufgesprungen und auf die Straße gerannt, aber in meiner derzeitigen Situation – mein Körper eingezwängt in ein Gerüst, mein Gehirn offengelegt – war mir das nicht möglich. Ich konnte sehen, wie der Aufruhr meiner Gedanken die Plättchen meines Gehirns schneller flattern ließ, was wiederum meine Aufgeregtheit darüber steigerte, zur Bewegungslosigkeit verdammt zu sein.
    Ein Panikanfall hätte mich in diesem Augenblick das Leben kosten können, wenn ich in albtraumhafter Verkrampfung darüber, zugleich gefangen zu sein und die Kontrolle zu verlieren, gegen meine Fesseln angekämpft hätte, bis mir die Luft ausgegangen wäre. Ein glücklicher Zufall und mein Instinkt sorgten jedoch dafür, dass meine Hände die Steuerung so bewegten, dass ich nicht mehr durch das Periskop auf das Drahtgeflecht blickte, sondern die glatte Oberfläche meines Arbeitstisches betrachtete. Da ich nun nicht mehr meine Ängste direkt anstarrte (und dadurch verstärkte), fand ich allmählich meine Beherrschung wieder. Als ich mich hinreichend beruhigt hatte, machte ich mich an die langwierige Prozedur, mich wieder zusammenzusetzen. Schließlich hatte ich die ursprüngliche kompakte Anordnung meines Gehirns wiederhergestellt, befestigte die Kopfplatten an ihrem angestammten Platz und befreite mich von den Klammern, die mich hielten.
    Als ich anderen Anatomieforschern von meiner Entdeckung berichtete, schenkten sie mir anfänglich keinen Glauben, aber in den Monaten nach meiner ersten Selbstsezierung schlossen sich mehr und mehr Kollegen meinen Ansichten an. Die Gehirne anderer Personen wurden untersucht, man nahm weitere Messungen des atmosphärischen Drucks vor, und alle Ergebnisse bestätigten meine Behauptungen. Der allgemeine Luftdruck unseres
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