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Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition)
Autoren: Beatrix Mannel
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weiterzureden.
    Die anderen folgten seinem Beispiel und setzten sich, leise stöhnend, wieder hin. Vor allem der Spitzbärtige schüttelte dabei vehement den Kopf.
    Rosa hatte die Worte ihres Vaters im Ohr: Jedes Blatt ist nur so gut wie sein Spieler . Sie rief: »Mein Vater hat noch eine Tochter, meine Halbschwester Dorothea!«, als wäre damit alles klar.
    »Noch eine von der Sorte? Mir scheint, Euer Vater war ein sehr unglücklicher Mann!«, sagte der mit dem Spitzbart grinsend zu den anderen Männern.
    »Meine Schwester Dorothea, die verehelicht ist mit Christian Martin Balderius, hat einen Sohn. Meinen Neffen Kaspar Johannes. Der Enkel meines Vaters.«
    Der Schmerbäuchige wendete sich ungehalten an die anderen: »Warum war von dem hier nie die Rede?«
    »Weil«, mischte sich der mit der Stirnglatze ein, »die alle in Indien verschollen sind, schon seit Jahren.«
    »Verschollen in Indien, so, so.« Der Spitzbärtige entspannte sich.
    Für Rosa aber klang das abscheulich. Immer mehr gewann sie den Eindruck, dass man sie einfach aus der Stadt haben wollte. Die wollten ihre Schwester einfach wegreden. »Niemand ist verschollen«, empörte sie sich. »Sie leben in Masulipatnam in Ostindien.«
    »Hört, hört!«, bemerkte der mit dem Spitzbart, der ihre Anstrengungen mit einer Miene betrachtete, als wäre sie ein auf den Rücken gefallener Käfer, der sich mit aller Kraft bemühte, wieder auf die Beine zu kommen, ohne zu ahnen, dass er sowieso gleich totgetreten werden würde.
    »Und wie alt ist Euer Enkel?«, fragte ein anderer der Raben ihre Mutter.
    »Kaspar ist am Johannistag sechs Jahre alt geworden und erfreut sich allerbester Gesundheit«, antwortete Rosa, bevor ihre Mutter antworten konnte.
    »Aber niemand weiß, wann und ob der Junge wieder nach Nürnberg zurückkehren wird.« Der Spitzbärtige schien erfreut über seine Anmerkung, was Rosas Verzweiflung noch vergrößerte. Es musste einfach einen Weg geben. Jeder Tag, den die Mutter Vaters Gewerbe weiter betreiben durfte, würde ihnen allen nutzen. Wovon sollten sie und ihre schwächlichen Schwestern denn sonst leben?
    »Ihr irrt Euch. Es ist eine beschlossene Sache. Schon sehr bald wird mein Neffe hier sein«, behauptete Rosa und hoffte, dass die Mutter sie nicht unterbrechen würde, bevor ihr einfiel, was sie als Nächstes vorbringen konnte.
    Noch nie in ihrem Leben hatte Rosa dermaßen dreist gelogen, und sie erwartete, dass sich die Erde unter ihr auftat oder die Pauken und Trompeten des letzten Gerichts erklangen, aber es blieb still, nicht einmal ihr sechster Finger reagierte.
    Sie hatte Angst, es zu weit getrieben zu haben, überlegte, was sie noch tun könnte, um Zeit zum Nachdenken zu schinden, griff dann nach der Kette mit dem Medaillon in ihrem Ausschnitt und tat so, als würde sie das interessierte Glitzern in den Augen der Männer nicht bemerken. Sie zog das Medaillon heraus und öffnete es.
    »Das hier ist eine Locke von Kaspar. Dorothea hat mich zu seiner Patin bestimmt, denn sie ist sehr unglücklich darüber, dass ihr Sohn bei den Heiden aufwachsen muss.« Sie trat einen Schritt vor und zeigte die mit einem blauen Bändchen umwundene blonde Locke.
    Der Spitzbärtige ließ sich die Locke geben und rieb sie zwischen seinen Fingern hin und her, als wollte er sie zu Staub mahlen.
    »Ihr seid so … schweigsam … Zapfin?« Der mit dem spitzen Bart wandte sich mit einem drohenden Unterton an ihre Mutter.
    Rosa schwitzte – wenn ihre Mutter nur nicht alles verdarb! Ihre Mutter log nie. Sogar damals, als Rosa sie gefragt hatte, ob ihr sechster Finger wirklich ein Zeichen des Teufels sei, war ihre Mutter ehrlich gewesen. Ja, hatte sie schlicht geantwortet. Und dass man Rosa deshalb sehr genau im Auge behalten müsse.
    Um von der Mutter abzulenken, wollte Rosa die Locke wieder zurückhaben, doch der Spitzbärtige schüttelte den Kopf und reichte die Locke weiter wie ein Beweisstück.
    »Nun, Zapfin?«, fragte jetzt auch der mit der Stirnglatze.
    »Für wann erwartet Ihr seine Rückkehr?«
    Rosa saß in der Klemme, sie musste etwas sagen. Sofort. Denn erstens war Dorothea nicht auf dem Heimweg, und zweitens würde ihre Mutter, diese Wahrheitsfanatikerin, das ganz sicher gleich aufklären. Denk nach, Rosa, denk nach! Ihre Waden zitterten unter den ungeduldigen Blicken der Ratsleute, und der Puls dröhnte in ihren Ohren.
    Das Blatt ist nur so gut wie sein Spieler , hörte Rosa wieder die Stimme ihres Vaters.
    »Nun, ich weiß nicht, wie ich es
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