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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris
Autoren: Judith Merkle-Riley
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meines Vaters Bankier in Paris zu schreiben mit der Forderung, mein Vater möge mehr Geld für meinen Unterhalt schicken. Und so erst erfuhr mein Vater, daß ich nicht vor fünf Jahren auf dem Weg nach Fontenay-aux-Roses gestorben war.

    »Ein kaltherziges kleines Ding habt Ihr mir da gebracht«, sagte Mutter. Sie saß im Lehnstuhl in ihrem Empfangssalon, angetan mit einem Gewand aus gelber Seide, und prüfte Stoffmuster ihres Damenschneiders. Ich stand auf der anderen Seite des Zimmers und sah sie lange an. Sie war sehr hübsch, aber ich erinnere mich, daß ich nicht den Wunsch hatte, sie zu berühren. Es brannte kein Feuer, und es war kühl in dem hohen, blau und weiß getäfelten Raum. Erst nach Jahren, als ich darauf hingewiesen wurde, bemerkte ich die helle Fläche im Parkettfußboden, wo der Teppich entfernt worden war, und helle Vierecke an der Wand, wo die Gemälde von Vouet und Le Sueur nicht mehr hingen.
    Das Haus, in das mein Vater mich gebracht hatte, war ein mittelalterliches Herrschaftshaus im Quartier de la Cité, im Herzen von Paris. Im Stockwerk über dem Empfangssalon und dem Speisezimmer, die nach heutigem Geschmack neu gestaltet waren, drängten sich die engen, altmodischen Zimmer um einen Hof mit einem Turm an einer Ecke und einem Brunnen in der Mitte. Im Erdgeschoß gelangte man von Küche und Stall in den Hof. Dort streckten César und Brutus, die braunen Hengste, ihre langen Gesichter in die Sonne. Katzen und Hunde rekelten sich im Schlamm und suchten nach Abfällen, und die Köchin beschimpfte das Küchenmädchen, das schmutziges Wasser auf die Kopfsteine schüttete. Oben lag die elegante Etage, die Decke mit Nymphen bemalt, und von dort war Violinmusik zu hören, wenn Mutter Gäste hatte. Was dahinter lag, war mittelalterlich und planlos, eigentümliche Zimmer unterschiedlicher Größe, die nahezu willkürlich in Wendeltreppen übergingen, ein Irrgarten aus verbundenen Kammern, die man fast alle durchqueren mußte, um in einen bestimmten Raum zu gelangen.
    Die Straßenfront des Hauses – ein breiter, niedriger gotischer Bogen und eine schwere Türe – verriet wenig vom vielfältigen Leben im Inneren: Mägde auf den Knien, um die schweren Möbel abzustauben, während meine Mutter die mit Silber beladenen Buffets verschloß; der Hausdiener, der den Lüster herabließ, um ihn mit frischen Kerzen zu bestücken; meine ältere Schwester am Klavichord; Vaters Leibdiener, der mit einer Tasse Schokolade hinaufeilte; und hoch droben Großmutters trippelnder, kreischender Papagei, während die alte Damen in der »Gazette de France« die Gerichtsnachrichten las. Über der alles verbergenden Türe waren kleine gotische Grotesken, marmousets genannt, in den steinernen Bogen geschlagen, und diese hatten nicht nur dem Hause seinen Namen gegeben, sondern auch der schmalen gewundenen Straße, die von der Rue de la Juiverie direkt zum Kreuzgang von Notre-Dame führte und Rue des Marmousets hieß. Diese Straße hatte einen sonderbaren Ruf, und der Bäckerlehrling, die Köchin, die Mägde und unser Stalljunge schworen alle, daß dort Geister aus lange vergangenen Zeiten spukten. Es hieß, in einem florierenden Laden habe man Pasteten verkauft, die aus unseligen auswärtigen Besuchern hergestellt waren. Doch ich suchte vergebens nach der seltsamen Prozession von Männern in veralteter Kleidung, mit aufgeschlitzten Kehlen und hohlen Augen, die angeblich in mondlosen Nächten durch die Mauer wandelten. Zu meinem großen Bedauern sah die Straße für mich stets ganz alltäglich aus, und enttäuscht mußte ich erfahren, daß das Anwesen mit dem berühmten Laden nun von dem überaus respektablen Haus der Advokatenfamilie Belut eingenommen wurde.
    Auch Vater gehörte zu den Neureichen. Er, der arme Sohn einer einstmals vornehmen Richterfamilie, war financier geworden, einer von denen, die vom Einziehen von Steuern und von Beteiligungen an der Schatzkammer lebten. Er war unter der Protektion von Nicholas Fouquet, dem surintendant des finances, rasch aufgestiegen, hatte privates Vermögen angehäuft und meine Mutter geehelicht, die schöne Tochter einer untergegangenen Aristokratenfamilie. Als Fouquet aber an jenem schicksalhaften Tag im Jahre 1661 als Opfer seines Todfeindes Colbert, des contrôleur-général des finances, festgenommen wurde, befand sich unter den vielen belastenden Dokumenten im berühmten versiegelten Koffer des ruinierten surintendant auch ein Brief, der meinen Vater hinreichend kompromittierte:
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