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Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe vom Niederrhein: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Sebastian Thiel
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gegeben, sein
Zentrum marschieren zu lassen. Den Ruf des Hauptmanns höre ich schon nicht mehr.
Innerhalb eines Augenaufschlages scheint die Hölle loszubrechen. Waren es vor wenigen
Stunden noch vereinzelte Schüsse, die fortwährend auf unsere Reihen barsten, scheint
nun der Teufel selbst Donnerschläge zu schicken. Die Artillerie der französisch-schwedischen
Armee ist gut justiert, die Einschläge genau. Trommel und Fidel spielen im Hintergrund,
als ich wie von Seilen gezogen einen Schritt vorwärts marschiere. Ich will zurückfallen,
wegrennen, irgendwas, nur nicht hier sein. Doch wenige Meter hinter der Linie wäre
mir der Tod durch die eigenen Männer sicher. Gerade weil wir keine regulären Soldaten
sind, sondern billige Partisanen. Man hört die Offiziere über uns lachen, wenn wir
an ihren Zelten vorbeigehen.
    »Wertloses Kanonenfutter.« Dieser Ausspruch ist stets mit Gelächter
und Hohn verbunden. Doch jetzt, zu dieser Sekunde, sind wir alle gleich. Gleich
im Leben und gleich im Tod.
    Meinem Bruder habe ich es ein weiteres Mal zu verdanken, dass ich nicht
stehen bleibe. Für das heftige Ziehen an meinem linken Unterarm bin ich dankbar.
Fürwahr würde ich ohne seine Hilfe keine Elle mehr auf diese Wand aus Soldaten zugehen.
    Noch 200 Fuß.
    Fast bemerke ich nicht, wie ich anfange zu tippeln, verlagere das Gewicht
von einem Fuß auf den anderen. Bloß nicht ohnmächtig werden, denke ich und spüre,
wie meine Hoffnung mit genau diesem Gedanken auf brutalste Weise aufgefressen wird.
    Noch 100 Fuß.
    Ein Ziehen schleicht sich langsam, aber unaufhörlich in meinen Kopf
und hinterlässt eine schwere, dunkle Last. Ich räuspere mich, ein Schwindelgefühl
steigt in mir hoch und ich habe das Verlangen, mich selbst zu ohrfeigen. Zu unwirklich
kommt mir diese Situation vor, als wäre ich nicht mehr Herr meiner Sinne. Die Angst
schreit mich an, gebietet mir stehen zu bleiben.
    Noch 50 Fuß.
    Als ob mir jegliche Kraft genommen würde, drückt
sich nun ein Kloß meinen Hals hoch und kündigt auf perverse Weise das Würgen an.
Es ist nur dem fester werdenden Griff meines Bruders zu verdanken, dass ich die
letzten Meter nicht zurückfalle. Zärtlich glitzert der frisch gefallene Schnee zwischen
den beiden Armeen, ruhig und unberührt.
    Dann beginnt es.
    Die Männer warten nicht auf ein Signal. Kaiserliche
Truppen geben vereinzelte Schüsse ab und lassen so ein Chaos ausbrechen. Einige
hetzen aus der Linie und werfen sich todesverachtend gegen die französisch-schwedischen
Reihen. Kurz bevor es zum Nahkampf kommen kann, werden sie von den feindlichen Musketen
zu Fall gebracht. Das Feuer der Kanonen schlägt wenige Meter neben mir ein und reißt
eine weitere Bresche in die Linie. Ohrenbetäubend scheinen das Schreien der Männer
und das Kreischen der Schüsse. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als sich die
Reihen daraufhin endgültig auflösen. Mit starkem Griff sucht sich meine Muskete
ein Ziel und feuert gegen die Wand aus Soldaten. Für einen zweiten Schuss reicht
es nicht mehr. Ich ziehe meinen Säbel und stürze den Feinden entgegen. Die gegnerische
Infanterie rüstet sich ebenfalls zum Angriff und prescht mit gezogener Waffe vor.
Aus ihren Gesichtern sprechen derselbe Hass, derselbe Wille zum Überleben und dieselbe
Angst. Als die beiden Heere aufeinandertreffen, verwandelt sich der Acker zu einem
grausamen Tummelplatz. Ein grauer Schleier legt sich über meinen Blick und ich habe
das eigenartige Gefühl, keine der handelnden Personen mehr zu sein. Aus vollem Lauf
hole ich aus und ziehe einem französischen Soldaten meine Klinge über das Wams.
Er bricht sofort zusammen. Für einen Moment beobachte ich, wie das Blut des Mannes
meinen Säbel herunterläuft. Dann werde ich mit einem kräftigen Ruck weiter nach
vorn gedrückt. Weiter gegen die Wand aus Feinden. Die Kanonenkugeln schlagen nun
unmittelbar neben mir ein. Ihnen ist egal, welche Uniform man trägt. Der aufgeschleuderte,
gefrorene Boden peitscht in mein Gesicht. Ich muss über meine Augen streichen, bevor
ich erneut zum Schlag aushole und mit einem Hieb den Arm eines Soldaten verletze.
Einen weiteren kann ich mit einem gezielten Schlag zu Boden werfen und meinen Säbel
tief in die Brust des Mannes bohren. Trotz des Lärmes vernehme ich die letzten,
geröchelten Worte des Sterbenden ganz genau.
    »Je te pardonne.«
    Obschon die französische Sprache mir fremd ist,
brennen sich seine Worte in meinen Geist. Meine Augen vermögen das Handgemenge,
in dem ich
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