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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht
Autoren: Uwe Klußmann
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Intellektuellen fuhren massenweise nach Europa, viel freier als hundert Jahre zuvor. Doch Reformer wurden immer wieder ausgebremst. Und der Erste Weltkrieg brach dem Zarensystem das Genick. Viele Russen wollten Demokratie, aber weil niemand wusste wie, kam es zu einer zügellosen Revolution.
    SPIEGEL : War die Ideologie des Panslawismus mit dem Wunsch, die Balkanslawen anzuführen, nicht der Sargnagel für die Zarenherrschaft? Denn diese Idee trieb Russland in den Krieg gegen Deutschland und Österreich-Ungarn.
    RAHR : Die panslawistische Idee war damals sehr populär, sie spiegelt sich bei großen Literaten wie Alexander Puschkin oder Fjodor Dostojewski wider. Russland übernahm die Rolle einer Schutzmacht für slawische Völker – es stellte ein orthodox-slawisches Weltbild dem Westen entgegen.
    SPIEGEL : War das die Kehrseite eines Minderwertigkeitskomplexes, weil man wusste, dass man den Europäern hinterherhinkte?
    RAHR : Der Panslawismus sprach viele Russen an, weil er ein großes Sendungsbewusstsein hatte. Russland fühlte sich als Erbauer eines anderen Europas. Ähnliche Töne hört man heute von Putin in Bezug auf die Eurasische Union.
    SPIEGEL : Hatten die russischen Eliten 1917 noch die Chance, das Zarenreich zu retten?
    RAHR : Das waren keine Eliten mehr. Mein Großvater, der 1990 starb, war Adjutant des weißen Generals Pjotr Wrangel gewesen. Er erzählte mir, dass es in jedem Zirkel mehr Meinungen als Personen gab, die dort an einem Tisch saßen. Es fehlten Führungspersönlichkeiten, überzeugende Ideen und handlungsfähige Organisationen. Die Monarchie war verschwunden, der Gottesglaube geschwächt, der Krieg verloren. Die Macht lag auf der Straße. Nur so konnten die Bolschewiki siegen.
    SPIEGEL : Dennoch standen noch im Februar 1917 einigen zehntausend Anhängern der Bolschewiki Millionen von Befürwortern der Zarenmacht gegenüber. Warum fielen die nicht ins Gewicht?
    RAHR : Nach der Quantität der Anhänger zu urteilen hätten die Weißen die Roten bezwingen müssen. Der Zar hatte während des Krieges an Autorität eingebüßt, er galt als schwach und die Zarin als jenseits von Gut und Böse mit ihrem Hang zum Scharlatan Rasputin. Der Auslöser der Revolte aber war der verlorene Krieg. Die Russen hatten anfangs geglaubt, sie würden siegen wie 100 Jahre zuvor gegen Napoleon.
    SPIEGEL : War der russische Nationalismus Sprengstoff für das Vielvölkerreich, indem er die Nationalismen der nichtrussischen Völker anfachte? Und begegnet uns dieses Phänomen in Russland nicht heute wieder?
    RAHR : Weder Russland noch die Sowjetunion waren ein Kerker der Völker. Die Russen haben ihre Ureinwohner nicht niedergemetzelt, wie es mit den Indianern in Amerika geschah. Aber die kleinen Völker bekamen keine Rechte. Und so keimte der Wunsch nach Unabhängigkeit, selbst unter den Ukrainern, die den Russen nahestehen.
    SPIEGEL : Der Zarenerzieher und Religionsminister Konstantin Pobedonoszew schrieb Ende des 19. Jahrhunderts: »Institutionen haben keine Bedeutung. Alles hängt von Personen ab.« War das stets die Achillesferse des Reichs?
    RAHR : Ja, Zar Nikolai II. war 1917 der letzte absolutistische Monarch in Europa. 1991 hing das Schicksal der Sowjetunion an Michail Gorbatschow. Als Gorbatschow dann ging, brach der Sowjetstaat zusammen. Ähnlich war es auch 1917 nach der Abdankung des Zaren. Und beide Szenarien stehen Putin vor Augen.
    SPIEGEL : Könnte sich Russland wieder am Vorabend einer Revolution befinden?
    RAHR : Nicht in den nächsten sechs Jahren. Derzeit ist keine Alternative zu Putin sichtbar. Aber langfristig kann sich das ändern, wenn die Korruption sich fortsetzt, wenn der soziale Aufstieg blockiert ist und eine neue unzufriedene Generation junger Russen heranwächst, die Europas Freiheiten für sich einfordern wird.
    SPIEGEL : Herr Rahr, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

ANHANG

Krieger, Reformer, Reaktionäre
    Chronik 988 bis 1918
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    988
    Fürst Wladimir I. führt in der Kiewer Rus, der Keimzelle des russischen Staates, das orthodoxe Christentum nach byzantinischem Ritus ein.
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    1299
    Die Mongolen zerstören erneut Kiew. Der russische Metropolit, Oberhaupt der orthodoxen Kirche, flieht ins gut 900 Kilometer nordöstlich gelegene Wladimir.
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    1328
    Der Metropolit verlegt seinen Sitz nach Moskau.
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    1453
    Die Osmanen erobern Konstantinopel. Mit dem Fall von Byzanz endet das Oströmische Reich.
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    1472
    Der russische Großfürst Iwan III. heiratet Sofija Paleolog, die
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