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Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht
Autoren: Uwe Klußmann
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purer Feudalismus.
    RAHR : Russland ist in vieler Hinsicht ein anderer Planet. Das Sowjetsystem hat negative Strukturen eines mittelalterlichen Landes, das nie in der europäischen Gegenwart angekommen war, konserviert und verschlimmert. Da herauszukommen, dauert mindestens zwei Generationen.
    SPIEGEL : Der Anfang der Zarenherrschaft fiel in eine Epoche, als weiter westlich in Europa gerade die Neuzeit begonnen hatte. Die alten Großmächte übten einen enormen Expansionsdruck aus. Stand Russland damals vor der Alternative, entweder ein Imperium oder eine Kolonie fremder Mächte zu werden? Und ergab sich daraus das Bedürfnis nach einer starken Zentralmacht?
    RAHR : Zuerst einmal ging es außenpolitisch darum, auf Augenhöhe mit den westlichen Monarchien zu kommen. Die haben sich lange geziert, den Zarentitel protokollarisch anzuerkennen. Noch im Westfälischen Frieden von 1648 ist der Moskauer Herrscher nur als »magnus dux Muscoviae«, als Großfürst aufgeführt. Das Bewusstsein von der geografischen Größe des Landes zeigte sich erstmals bei Peter I. und seinem Hauptstadt- und Flottenbau. Russland war riesig und weckte Begehrlichkeiten. Nur ein gottähnlicher Zar konnte das Land zusammenhalten.
    SPIEGEL : Wird daher auch schon Zar Iwan IV., im Westen »der Schreckliche« genannt, nicht durchweg negativ gesehen?
    RAHR : Im Russischen heißt er Iwan Grosny, »der Gestrenge«. In vielen Diskussionen mit Russen bekomme ich in den letzten Jahren das beklemmende Gefühl, dass man Josef Stalin in vielleicht nur 50 Jahren ähnlich sehen wird wie Iwan Grosny. Was bleibt von Stalin in den Erinnerungen der Russen? Nicht der Terror, die Massenmorde. Sondern, dass Stalin wie Iwan Grosny ein Russland hinterlassen hat, das um Vieles mächtiger war als zuvor. Menschenleben zählen in Russland weniger als im Westen.
    SPIEGEL : Im 18. Jahrhundert saß Katharina II. auf dem Zarenthron, eine Deutsche. Später waren fast alle Zaren mit einer Deutschen verheiratet. Was bedeuteten diese persönlichen Verbindungen nach Westen für das Zarenreich?
    RAHR : Katharina II. verkörperte zwar scheinbar den Höhepunkt des deutschen Einflusses, der seit Peter dem Großen deutlich spürbar war. Genau besehen aber war sie keine Deutsche mehr, sie wurde eine Russin und inhalierte das Byzantinische.
    SPIEGEL : Deutsche agierten als russische Außenminister, Kanzler und Generäle – waren die alle machtlos?
    RAHR : Diese Deutschen zeigten sich oft russischer als die Russen: Es gab unter ihnen Generäle, die waren vor dem Ersten Weltkrieg vehemente Verfechter eines Krieges gegen Deutschland.
    SPIEGEL : Das Zarenreich prägte Menschen und Institutionen auf ganz eigene Weise. Auch das Christentum nahm in Russland eine besondere Ausprägung an. Welche Rolle spielte die orthodoxe Kirche im Zarenreich?
    RAHR : Viele Kirchenführer sahen sich durch ihr geistliches Amt und den damit verbundenen göttlichen Auftrag als die eigentlichen Herren im Land, ähnlich wie die mittelalterliche Papstkirche in Westeuropa. Dann kam Peter der Große, der die Kirche einer staatlichen Behörde unterstellte, dem »Heiligen Synod«. Dadurch hat er sie als eigenständige Kraft beseitigt und ihren politischen Einfluss geschwächt. Peter war ein radikaler Modernisierer. Für ihn war diese konservative, sehr starke Kirche ein Bremsklotz. Dem Volk aber blieb die Kirche immer als die Trösterin und fungierte als nationale Identitätsstifterin.
    SPIEGEL : Was hat Peter I. für das Land dauerhaft bewirkt?
    RAHR : Ohne ihn wäre Russland nicht Teil Europas geworden und womöglich als Imperium zerfallen. Ohne Anbindung an Europa hätte Russland damals keine Überlebenschance gehabt. Es wäre an seiner Rückständigkeit gescheitert.
    SPIEGEL : Auf Peters gewaltsam durchgesetzte Reformen folgten wieder Phasen der Restauration. Selbst als in Europa die Zeit der Demokratie anbrach, hielt Zar Nikolai II. am autokratischen Regime fest. Warum?
    RAHR : Die restaurativen Kräfte fanden in Bürokratie und einfachem Volk stets Widerhall. Drei Institutionen sind immer in Russland populär: Herrscher, Kirche, Armee. Dieser Gedanke lebt auch im Putinismus wieder auf.
    SPIEGEL : Im Jahre 1906 ließ Nikolai II. zum ersten Mal ein Parlament, die Duma wählen. Was verhinderte danach die Wandlung Russlands zu einem demokratischen Staat? Hatte das Land überhaupt das Potential dazu?
    RAHR : Die Chance gab es. Das Land vernetzte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer mehr mit dem Westen. Die
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