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Die Herrschaft Der Drachen 02 - Jandra

Titel: Die Herrschaft Der Drachen 02 - Jandra
Autoren: James Maxey
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Matriarchin wartete einen langen Moment, während ihre goldenen Augen sein Gesicht fixierten. Er sah sich selbst in diesem Blick, einen grauen Drachen vor grauem Stein. Er versuchte, irgendein Gefühl in ihren Augen zu finden, einen Hinweis auf … ja, auf was? Was würde er gern sehen? Reue? Zärtlichkeit? Hass? Liebe? Er hatte die Matriarchin seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen. Ein Treffen mit ihr hatte er sich beinahe jeden Tag vorgestellt, hatte sich überlegt, was er sagen würde, aber jetzt, da es zustande gekommen war, fühlte er sich vollkommen ungeübt und unbeholfen.
    Die Matriarchin seufzte. »Du bekommst deine Privataudienz. Walküren, lasst uns allein.«
    Graxen entspannte sich und senkte die Schwingen. Bis zu diesem Moment hatte er nicht gewusst, ob er das Treffen überleben würde. Die Walküren waren dafür bekannt, dass sie mit Eindringlingen unbarmherzig umgingen. Er hatte nicht gewusst, ob er irgendwie anders behandelt werden würde. Es war sogar sehr gut möglich gewesen, dass er in Anbetracht seiner Familiengeschichte noch schlimmer behandelt werden würde.
    »Ich hatte befürchtet, du könntest mich hassen«, sagte Graxen zur Matriarchin, als die letzte Walküre den Raum verlassen hatte. Die Wache schloss die Tür mit einem letzten Blick auf ihn. In ihren Augen stand Mordlust.

    »Und ich hasse dich auch mit meinem ganzen Blut«, sagte die Matriarchin und schüttelte betrübt den Kopf. »Du bist mein größter Fehler, Graxen. Ich verfluche die Entscheidung, dir als Kind nicht das Genick gebrochen zu haben. Es bereitet mir nichts als Schmerz, dich wiederzusehen.«
    Graxen nickte; er fühlte sich nicht mehr unbehaglich. Auch diese Worte hatte er viele Male in seiner Vorstellung gehört. Er war von Natur eine Missgeburt, eine Verhöhnung der sorgfältigen Ahnenreihen, die die Himmelsdrachen seit Jahrhunderten so mühsam zu erhalten versuchten. Natürlich musste die Matriarchin, deren einzige Aufgabe es war, die Integrität dieser Ahnenreihen zu bewahren, ihn verachten.
    »Es … es tut mir leid«, sagte er.
    »Was nützt mir das?«, fauchte die Matriarchin. Sie schüttelte den Kopf und seufzte. »Dein Bedauern kann meinen Kummer nicht lindern. Ich habe vier Töchter und zwei gute Söhne geboren. Ihre Nachkommen müssten jetzt in die Dutzende zählen. Und doch hat das Schicksal sie alle in ihrer Jugend hinweggerafft, einen nach dem anderen, durch Krankheit und Unfall und Verrat. Sie sind alle tot … alle bis auf den verfluchten Siebtgeborenen.«
    Graxen senkte den Kopf; er fand keine Worte, die ihren Schmerz lindern mochten. Ein Teil von ihm hatte Mitgefühl mit der gealterten Matriarchin, ein Teil von ihm teilte ihren Kummer. Aber darunter war etwas, das ärgerte sich über die Ungerechtigkeit ihrer Verachtung. Es war nicht sein Fehler, dass ihm das Unglück seiner Geschwister erspart geblieben war. Wie konnte man ihm die Schuld dafür geben, dass er ihr einziges überlebendes Kind war?

Kapitel Zwei
Fransige Fäden
    S ie ließen den Turm weit hinter sich, als Graxen der Matriarchin eine gewundene Treppe nach unten folgte und in das Herz ihrer Domäne, zum sagenumwobenen Fadensaal geführt wurde. Die riesige, runde Kammer, die beinahe hundert Schritt Durchmesser hatte, wirkte wie ein Wald aus dicken Granitsäulen, die die Festung darüber stützten. Kunstvolle, farbenprächtige Wandteppiche hingen an den Wänden, auf denen Szenen aus der Ballade von Belpantheron in herrlichen Einzelheiten dargestellt waren. Strahlende, karmesinrote Sonnendrachen rissen goldgeflügelte Engel mit blutigen Kiefern beim Höhepunkt einer Schlacht, die Jahrzehnte währte.
    Die Walküren waren meisterhaft im Maschinenbau; obwohl die Kammer unter der Oberfläche des Sees lag, gab es keinerlei Hinweise auf irgendwelche leckenden Stellen oder Pfützen. Verspiegelte Schächte befanden sich fünfundzwanzig Fuß über ihnen in der Decke und lenkten Sonnenlicht in den Raum. Trotzdem herrschte eine höhlenähnliche Kühle und Feuchtigkeit im Zimmer. Der widerliche Weihrauch, der in dünnen Schwaden von silbernen Wandleuchtern an den Wänden aufstieg, konnte den unterschwelligen Geruch von Schimmel nicht überdecken.
    Die Matriarchin ging durch das Zimmer, ohne sich nach Graxen
umzusehen. Das einzige Geräusch im Raum war das Klopfen ihres Stockes, als sie über den gefliesten Boden humpelte. Seit sie den Turm verlassen hatte, hatte sie weder gesprochen noch ihm einen Blick zugeworfen. Graxen wollte etwas sagen, aber er
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