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Die Herrin von Avalon

Die Herrin von Avalon

Titel: Die Herrin von Avalon
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Abwesenheit machte sich bemerkbar. Der Aufstieg fiel ihr schwer. Oben angelangt rang sie nach Luft, während sich die anderen schweigend um sie scharten. Caillean hätte sich am liebsten haltsuchend an einen der Steine gelehnt. Als ihr Atem wieder gleichmäßig ging, trat sie vor den Altarstein. Die Priesterinnen bildeten einen Kreis und schritten dann in der Richtung des Sonnenlaufs um den Altar. Die kleinen Spiegel aus poliertem Silber funkelten an ihren Gürteln. Kea stellte den silbernen Gral auf den Stein, und Beryan, die beim Mittsommerfest zur Priesterin geweiht worden war, füllte ihn mit dem Wasser aus dem heiligen Brunnen.
    Sie mußten auf dem Tor keinen Schutzkreis bilden. Dieser Ort war heilig und durfte nicht von unwissenden Augen entweiht werden. Je länger sie den Altar umkreisten, desto mehr begann sich die Luft um sie herum mit prickelnder Kraft aufzuladen. Kein Laut war zu hören. Auch der Wind, der sie frösteln ließ, hatte sich gelegt.
    »Wir danken dem Himmel. Er schenkt uns das Leben. Er schenkt uns das strahlende Licht ... «
    Caillean hob die Arme. Die anderen folgten ihrem Beispiel.
    »Wir verneigen uns vor der heiligen Erde. Wir sind ihre dankbaren Kinder ... «
    Sie beugte sich vor und berührte mit den Fingerspitzen das weiß bereifte Gras.
    »Euch, die ewigen Wächter der vier Richtungen, grüßen wir in Demut ... «
    Sie drehten sich langsam in alle vier Himmelsrichtungen. Jedesmal, wenn sie ihre Köpfe in den Nacken legten und die Augen nach oben richteten, spürten sie die Kräfte, deren Namen und Gestalten in den Herzen der Wissenden leben.
    Caillean verneigte sich noch einmal in Richtung Westen und sprach: »Wir ehren unsere Ahnen, die vor uns den Weg gegangen sind. Ihr Heiligen, wacht über unsere Kinder ... «
    Meine geliebte Eilan, wache über mich ... wache über dein Kind .
    Caillean schloß kurz die Augen, und einen Augenblick lang glaubte sie, eine sanfte Berührung zu spüren, als streiche ihr jemand über die Haare.
    Dann drehte sie sich nach Osten, wo die Sterne im zunehmenden Mondlicht verblaßten. Die Spannung stieg, als die anderen Priesterinnen ihrem Beispiel folgten und sie alle auf den hellen Rand der Mondkugel warteten, die jeden Augenblick über den Hügeln aufsteigen würde ...
    Und dann war es soweit. Funkelnde Schimmer erhellten den dunklen Himmel. Ein langes Seufzen wehte durch sie alle hindurch, als eine hohe Tanne auf dem fernen Hügel plötzlich zu einer dunklen Silhouette wurde. Dann war sie da, die Göttin. Sie strahlte im warmen Gold des vollen Glanzes. Langsam stieg sie weiter am Himmel auf und ließ die Erde hinter sich. Schließlich schwebte der volle Mond strahlend und rein über dem Land.
    Caillean war überwältigt und hatte Mühe, ihre Stimme unter Kontrolle zu bringen, um die vertrauten Worte des Rituals anzustimmen.
    »Im Osten zeigt sich unsere Göttin.«
    Der Gesang gewann mit jedem Ton an Kraft.
    »Göttin der Nacht, du lenkst all unsere Schritte, Göttin der Weisheit ... «, stimmten die anderen ein.
    »Die Strahlen deines Wissens zeigen uns den Weg ... «
    Cailleans Stimme hob sich über den Chor der Priesterinnen, die sich von ihrer Verzückung mitreißen ließen.
    »Göttin der Nacht, Göttin der Weisheit ... «
    »Dein silbernes Licht fällt auf alle guten Taten ... «
    Die Worte wurden zu einem Triumphgesang. Die Kraft der Priesterinnen, die zu einem heiligen Einklang menschlicher Demut wurde, verbreitete sich über das ganze Land.
    »Dein wissendes Licht erreicht die Gipfel der Berge ... «
    Cailleans Stimme hielt den letzten Ton, bis der Chor ihr geantwortet hatte.
    »Dein fruchtbares Licht fällt auf die Felder und Wälder ... «
    Die Göttin stand inzwischen hoch am Himmel. Sie sah Avalon und die sieben heiligen Inseln, aber ihr Blick war nicht darauf begrenzt, sondern umfaßte das ganze Land.
    »Dein schützendes Licht leuchtet den Wanderern auf allen Wegen ... «
    Caillean breitete segnend die Arme aus und hörte, wie sich Keas heller Sopran aus dem Chor der Stimmen löste.
    »Dein rettendes Licht besänftigt die Wellen des Meeres ... «
    Je tiefer die Trance wurde, desto mehr entfernte sich ihre Seele vom Körper.
    »Dein ewiges Strahlen leuchtet unter den Sternen am Himmel ... «
    Die Hohepriesterin überließ sich vertrauensvoll dem Gesang und schwebte zwischen Himmel und Erde. Nichts blieb ihrem inneren Auge verborgen, denn ihre Seele überließ sich der Führung der Göttin und schenkte allen Geschöpfen den Segen des
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