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Die Henkerstochter und der schwarze M�nch

Titel: Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
Autoren: Oliver P�tzsch
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bevorzuge die Bezeichnung fungus herbarum «, warf Simon schnell ein.
    Maria Schreevogl nickte. »Das gefällt mir besser. Es klingt mehr nach einer Medizin.«
    Mehrere Treppenstufen auf einmal nehmend, eilte der Medicus in das obere Stockwerk. Im Krankenzimmer kniete Jakob Schreevogl immer noch am Bett, ganz so, wie Simon ihn verlassen hatte. Das Gesicht des Patriziers war beinahe ebenso grau und eingefallen wie das seiner Stieftochter.
    »Habt Ihr die Medizin?«, fragte der Ratsherr leise.
    Simon nickte, öffnete vorsichtig das kleine Kästchen und steckte drei der kleinen Pillen in den ausgetrockneten Mund von Clara, deren Lippen schmal und hart wie Leder waren. Dann gab er ihr aus einem Becher ein wenig zu trinken und strich ihr über die schweißnasse Stirn.
    »Mehr kann ich nicht tun«, flüsterte er.
    Jakob Schreevogl neigte demütig den Kopf und schloss die Augen. Simon hatte das Gefühl, als wäre der Ratsherr in den letzten Stunden um Jahre gealtert; feine, graue Strähnen zogen sich durch sein sonst blondes Haar, Falten kräuselten sich um seine schmalen Lippen.
    Einer plötzlichen Eingebung folgend, fiel der Medicus neben dem Patrizier auf die Knie und faltete die Hände. »Lasst uns beten«, sagte er leise.
    Erst zögerlich, dann immer schneller murmelten sie gemeinsam die Worte, die sie beide von Kindheit an als Worte des Trostes kennengelernt hatten und die ihnen in dieser Stunde wieder in den Sinn kamen.
    »Der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf grünen Auen und führet mich zu stillen Wassern ... «
    Es war das erste Gebet, das Simon nach langer Zeit zu Gott schickte. Er war nie ein besonders gläubiger Mensch gewesen, doch plötzlich spürte er, dass etwas in ihm glauben wollte . Ein nie da gewesenes Gefühl von Sehnsucht durchströmte ihn. Gott hatte schon so viele schlimme Dinge zugelassen, der Schrecken musste doch einmal ein Ende haben!
    »O Gott, wenn es dich wirklich gibt, hilf diesem kleinen Mädchen ... Nach Altötting will ich gehen zur schwarzen Madonna, barfuß im Winter, wenn du sie leben lässt!«
    Als der Medicus nach einiger Zeit wieder zu Clara blickte, glaubte er, auf ihren Lippen plötzlich ein leichtes Lächeln zu erkennen. Ihr Atem schien ruhiger und regelmäßiger zu gehen, das Flattern der Lider hatte aufgehört. Simon stockte in seinem Gebet, er beugte sich über das Bett und fühlte Claras Puls.
    Er schlug sanft und langsam wie bei einem gesunden, schlafenden Mädchen.
    Das ist nicht möglich ... Oder doch?
    Erst jetzt erkannte Simon, dass an der kahlen Wand direkt vor ihm ein Gegenstand hing. Das Ding war so alltäglich, dass es ihm erst jetzt auffiel. Fast so, als wäre es vorher gar nicht da gewesen.
    Über Claras Bett hing ein kleines, unscheinbares Holzkreuz.

Epilog
     
    D ie Glocken der Altenstadter Basilika dröhnten weithin hörbar über das Schongauer Land, und die Bürger strömten in Scharen in die geräumige Kirche, um am zweiten Februar des Jahres 1 660 Mariä Lichtmess zu feiern. Drüben in Schongau auf dem Marktplatz standen bereits die Buden bereit, die Auslagen gefüllt mit fetten, nach Holzkohle duftenden Würsten, gerösteten Nüssen und weißen, armlangen Kerzen, die an diesem Tag gesegnet wurden. Sogar eine Gauklergruppe aus München hatte sich angekündigt.
    Mariä Lichtmess läutete nach altem Brauch das Ende des Winters ein. Von weit her kamen die Leute aus den entfernten Dörfern, um in der größten Kirche des Umlands gemeinsam die Messe zu begehen. Und auch wenn es in der Basilika noch zum Gotterbarmen kalt war, so wirkten die Menschen in ihren Feiertagsröcken und bunten, sauberen Kleidern doch fröhlicher und leichter als noch vor einigen Tagen.
    Das hing vor allem damit zusammen, dass das furchtbare Fieber, das die Stadt so lange heimgesucht hatte, nun endlich verschwunden schien. In allen Gassen erzählte man sich von dem jungen Schongauer Medicus und seinem Wundermittel, diesem fungus herbarum oder, wie die meisten hinter vorgehaltener Hand sagten, dem Chinaschimmel . Kleine, runde Pillen aus dem fernen Land hatte der Medicus den Krankengegeben, und schon nach kurzer Zeit waren sie geheilt gewesen! Seither begegnete man dem Fronwieser-Sohn auf den Straßen mit Respekt; man zog den Hut vor ihm, und nur die wenigsten lästerten noch über seine Buhlschaft mit der Henkerstochter unten aus dem Gerberviertel. Tatsächlich überlegte sich der eine oder andere Ratsherr ,ob dieser Fronwieser nicht doch eine gute Partie
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