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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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Stunden später, wie ihr schien.
    Sie nickte verträumt. »Ja«, seufzte sie. »Bitte.«
    »Ich kann es immer noch nicht glauben«, sagte Emparak in die Dunkelheit hinein. »Und ich weiß nicht, ob ich es jemals glauben werde.«
    »Beruhige dich«, schnurrte Lamita schläfrig, »ich kann es auch kaum glauben.«
    »Hast du viele Männer gehabt?«, fragte er, und es klang auf eine fast amüsante Weise eifersüchtig.
    »Nicht so viele, wie die meisten vermuten«, lächelte sie. »Aber genug, um zu merken, dass mich Männer bald langweilen, für die der wichtigste Teil der Geschichte mit ihrer eigenen Geburt begonnen hat.« Sie drehte sich herum und schmiegte sich an seine Brust. »Zum Glück scheinen deine diesbezüglichen Erfahrungen meine kümmerlichen Fertigkeiten weit in den Schatten zu stellen. Ich wette, du hast nicht immer so mönchisch gelebt, wie deine Wohnung aussieht.«
    Emparak lächelte, sie hörte es am Klang seiner Stimme. »Früher war meine Position bedeutend, und das hat vieles wettgemacht. Ich war diskret, aber ich glaube, jeder wusste, dass ich allen Frauen im Palast nachstellte … Dann kam der Umsturz, und ihr Rebellen habt mich entsetzlich degradiert, mich eure Macht spüren lassen und auch, dass ich auf der falschen Seite gestanden hatte, auf der Verliererseite. Ihr habt mich auf Eis gelegt, weil ihr nicht wusstet, ob ihr mich vielleicht eines Tages noch einmal brauchen würdet, aber ich war nicht mehr als ein alter Hausmeister. Und seither habe ich mich völlig zurückgezogen.«
    »Das habe ich gemerkt«, murmelte Lamita. Irgendetwas in ihr sagte ihr, dass sich das Gespräch auf gefährliches Terrain zubewegte, aber sie beschloss, weiterhin risikobereit zu sein. »Ich glaube, du bist immer noch ein Anhänger des Kaisers.«
    Sie spürte, wie er sich plötzlich wieder verschloss.
    »Was würde das für dich bedeuten?« Unbeugsamer Stolz sprach aus dieser Entgegnung, Trotz und auch Angst. Nicht wenig Angst.
    »Solange du auch mein Anhänger bleibst, ist es in Ordnung«, sagte sie sanft. Eine gute Antwort. Sie fühlte seine Entspannung. Trotz seiner Angst wäre er nicht bereit gewesen, sich zu verleugnen, nicht einmal um ihretwillen. Das imponierte ihr.
    »Ich war eigentlich nie ein Anhänger des Kaisers im üblichen Sinn«, sagte er nachdenklich. »Die Menschen, die ihn verehrten und anbeteten, kannten ihn nicht, kannten nur die Vorstellungen, die sie sich von ihm machten. Aber ich kannte ihn, von Angesicht zu Angesicht.« Er schwieg einen Moment, und Lamita konnte förmlich fühlen, wie in ihm Erinnerungen erwachten. »Seine Nähe war noch überwältigender als alle Legenden, die seine Priester erschaffen konnten. Er war eine unfassbar charismatische Persönlichkeit. Ihr Rebellen macht es euch zu einfach; mit herkömmlichen Maßstäben kann man ihn nicht messen. Eher mit Maßstäben, die man an ein Naturphänomen anlegen würde. Vergiss nicht, er war unsterblich, an die hunderttausend Jahre alt – niemand weiß, was das bedeuten mag. Nein, ich bin kein blinder Verehrer – ich bin ein Forscher. Ich versuche zu verstehen, und billige, schnelle, fertige Antworten sind mir zutiefst zuwider.«
    Lamita hatte sich aufgesetzt und schaltete das Licht neben dem Bett an. Sie sah Emparak an, als sähe sie ihn zum ersten Mal, und in gewissem Sinne tat sie das auch. Der stumpf dreinblickende, giftige Alte war verschwunden. Der Mann, der neben ihr lag, war hellwach und lebendig und entpuppte sich als ein näherer Geistesverwandter als irgendjemand sonst, den sie kannte.
    »Mir geht es genauso«, sagte sie und hatte plötzlich Lust, ihn auf der Stelle ein zweites Mal zu verführen.
    Emparak schlug jedoch die Decke beiseite, stand auf und begann sich anzuziehen. »Komm mit«, sagte er, »ich will dir etwas zeigen.«
    »Das Archiv ist so alt wie das Kaiserreich, und im Laufe der Zeit hat es weit über tausend Änderungen der Ordnungskriterien gegeben. Entsprechend kompliziert ist das Ordnungssystem heute. Wenn man es nicht kennt, ist es schlechterdings nicht zu durchschauen.« Emparaks Stimme hallte aus den niedrigen, dunklen Seitengängen wider, während sie Ebene um Ebene hinabstiegen in die geheimnisvollen Tiefen des Archivs. Hier unten waren nur die Hauptgänge schwach erhellt, und was man in den Schatten sehen wollte, die die Schränke, Schaukästen und die vielen rätselhaften Beutestücke warfen, blieb der Fantasie überlassen. Lamita hatte irgendwann nach der Hand des Archivars gegriffen und sie nicht
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