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Die Haarteppichknüpfer - Roman

Die Haarteppichknüpfer - Roman

Titel: Die Haarteppichknüpfer - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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vielleicht weiß sie ja mehr als wir?«
    Lamita war bei diesen Worten aufgestanden und drehte sich nach allen Seiten um, nervös, so überraschend im Mittelpunkt zu stehen. »Es tut mir leid, dazu nichts sagen zu können«, sagte sie, nachdem der Vorsitzende ihr zugenickt hatte. »Im Archiv wurden bisher keinerlei Hinweise auf die Haarteppiche gefunden. Das muss nicht heißen, dass es sie nicht gibt; das Ordnungssystem des Archivs ist uns noch ziemlich rätselhaft, und das Archiv, das die gesamte Kaiserzeit umfasst, ist riesengroß …«
    »Lamita, Ihr seid von allen anderen Aufgaben freigestellt«, unterbrach der Vorsitzende sie. »Kümmert Euch bis auf weiteres nur um diese Angelegenheit.«
    Danke, dachte Lamita verärgert, als sie sich wieder setzte. Allein. Ich und das Archiv. Mitarbeiter, die hätte er mir zusagen sollen.
    »Unsere Überlegungen«, fuhr der alte Rat eilig fort, »sollten sich mit der Gegenwart und der Zukunft beschäftigen. Die Bevölkerung von Gheera muss aufgeklärt, der Kaiserglauben beseitigt und eine neue politische Ordnung etabliert werden. Ich könnte mir vorstellen, dass es nach dem Vorbild der Provinzen Baquion und Tempesh-Kutaraan gelingen könnte, Gheera in eine selbstständige Föderation umzuwandeln …«
    Der darauffolgenden politischen Diskussion folgte Lamita nur noch mit halbem Ohr. Tagespolitik interessierte sie nicht. Ihr Interesse galt geschichtlichen Ereignissen und Entwicklungen, den Jahrtausenden, die hinter ihnen lagen. Im Geiste durchwanderte sie das Archiv, versuchte zum tausendsten Mal, das Geheimnis seiner Ordnung zu ergründen und kam doch auf keine neue Idee. Sie war froh, als die Sitzung endlich beendet wurde.
    Borlid fing sie ab, ehe sie den Saal verlassen konnte.
    »Lamita, ich muss dich einen Moment sprechen.«
    Sie verschränkte die Arme, ihre Unterlagen schützend vor der Brust. »Bitte.«
    »Seit Wochen weichst du mir aus. Ich möchte wissen, warum.«
    »Tue ich das?«
    »Ja. Ich frage dich, ob du mit mir essen willst, und du …«
    Sie seufzte. »Borlid, machen wir uns doch nichts vor. Du willst mehr von mir als nur mit mir zu Abend zu essen. Und ich will eben nicht. Also wäre es unfair, deine Einladung anzunehmen. Und anstrengend.«
    »Keine Chance?«
    »Nein.« Gekränkte männliche Eitelkeit. Furchtbar!
    »Es gibt also einen Mann in deinem Leben?«
    »Und wenn es so wäre, Borlid: Das ist allein meine Sache und geht dich nichts an.«
    Sie lag auf dem Rücken und starrte an die bemalte Decke über ihrem Bett. Das Windspiel, das in der offenen Balkontür hing, drehte sich sanft in der nächtlichen Brise und ließ zarte, sehnsüchtige Töne erklingen. Es warf im Licht der Monde Schatten auf die Bettdecke, ansonsten war es dunkel im Zimmer.
    »Ich habe einen der attraktivsten Männer zurückgewiesen, die den Palast bevölkern«, sagte sie laut. »Und nun liege ich allein auf meinem Bett und weiß nicht, wohin mit mir.«
    Ein leises Lachen aus einer Entfernung von siebzehntausend Lichtjahren.
    »Da du ihn zurückgewiesen hast, war er offenbar nicht attraktiv genug, Schwester.«
    »Ja, genau. Ich finde ihn kindisch und seicht.«
    »Gerade hast du noch gesagt, er sei einer der attraktivsten Männer …«
    »Naja. Viele Frauen finden ihn ziemlich anziehend.«
    Wieder dieses Lachen. »Mir scheint, Schwesterherz, dass du immer noch glaubst, es ginge darum, so zu werden wie alle anderen. In Wirklichkeit geht es darum, anders zu werden als die anderen – deine Einzigartigkeit zu entdecken. Du bist Rebellin durch Geburt, aber das bedeutet nicht viel. Deine eigene Rebellion steht immer noch bevor.«
    Lamita furchte die Nase, während sie den Sinn dieser Bemerkung zu ergründen versuchte. Ihre ältere Schwester liebte es, geheimnisvolle Sentenzen von sich zu geben und es ihren Gesprächspartnern zu überlassen, etwas damit anzufangen oder auch nicht.
    »Sarna, was stimmt mit mir nicht, dass ich allein bin?«, fragte Lamita trotzig.
    »Was hast du dagegen, allein zu sein?«
    »Es ist langweilig. Unbefriedigend.«
    »Beunruhigend?«, bohrte Sarna weiter.
    »Auch«, musste Lamita widerwillig zugeben.
    »Wie lange ist es her, dass du mit einem Mann zusammen warst?«
    »Lange. Es ist schon fast nicht mehr wahr. Und außerdem war es schrecklich. Ich kam mir vor wie ein Kindermädchen.«
    »Aber da es lange her ist«, resümierte ihre Schwester, »bist du mittlerweile drüber weg. Das kann es also nicht sein. Lamita – welcher Mann aus deiner Umgebung reizt
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