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Die Glasglocke (German Edition)

Die Glasglocke (German Edition)

Titel: Die Glasglocke (German Edition)
Autoren: Sylvia Plath
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wie eine Spiegelung auf einer Kugel Zahnarztquecksilber. Ich überlegte, obich zwischen die Laken kriechen und zu schlafen versuchen sollte, aber das gefiel mir genausowenig, wie es mir gefallen hätte, einen schmutzigen, hingeschmierten Brief in einen frischen, sauberen Umschlag zu stecken. Ich beschloß, ein heißes Bad zu nehmen.
    Es muß eine Menge Dinge geben, gegen die ein heißes Bad nicht hilft, aber ich kenne nicht viele. Wenn ich so todtraurig bin oder so nervös, daß ich nicht schlafen kann, oder in jemanden verliebt, den ich eine Woche lang nicht treffen kann, sacke ich in mir zusammen, und dann sage ich mir: »Jetzt nehme ich ein heißes Bad.«
    Ich meditiere im Bad. Das Wasser muß sehr heiß sein, so heiß, daß man den Fuß kaum hineinstecken kann. Dann läßt man sich ganz langsam hineingleiten, Zentimeter für Zentimeter, bis einem das Wasser bis zum Hals steht.
    Ich kann mich an die Decke über jeder Badewanne erinnern, in der ich mich jemals ausgestreckt habe. Ich erinnere mich an die Beschaffenheit der Decke, an die Risse, die Farben, die feuchten Flecken und die Lampen. Ich erinnere mich auch an die Wannen: die altertümlichen Greifenfußwannen, die modernen Sargwannen, die Designerwannen aus rosa Marmor, von denen man auf Zimmerteiche mit Seerosen blickt, und ich erinnere mich an Form und Größe der Wasserhähne und an die verschiedenen Arten von Seifenhaltern.
    Nirgends bin ich so sehr eins mit mir wie in einem heißen Bad.
    Fast eine Stunde lang lag ich in der Wanne im sechzehnten Stock dieses Frauenhotels, hoch über dem Rummel von New York, und spürte, wie ich wieder rein wurde. Ich glaube nicht an die Taufe, an Jordanwasser oder dergleichen, aber ich vermute, ein heißes Bad ist für mich ungefähr das, was für religiöse Menschen das Weihwasser ist.
    Ich sagte mir: »Doreen löst sich auf, Lenny Shepherd löst sich auf, Frankie löst sich auf, New York löst sich auf, sie alle lösensich auf, und es kommt nicht mehr auf sie an. Ich kenne sie nicht, ich habe sie nie gekannt, und ich bin sehr rein. All der Alkohol und die klebrigen Küsse, die ich sah, und der Schmutz, der sich beim Rückweg auf meiner Haut sammelte, verwandeln sich nun in etwas Reines.«
    Je länger ich in dem klaren heißen Wasser lag, desto reiner fühlte ich mich, und als ich schließlich aus dem Wasser stieg und mich in eines der großen, weichen, weißen Hotelbadetücher hüllte, kam ich mir rein vor und frisch wie ein neugeborenes Kind.
    Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen hatte, als ich das Klopfen hörte. Zuerst achtete ich nicht darauf, denn die Person, die da klopfte, sagte andauernd: »Elly, Elly, Elly, laß mich rein«, und ich kannte keine Elly. Dann übertönte ein anderes Klopfen das dumpfe Gepolter – ein zackiges Tacktack. Eine zweite, viel schärfere Stimme sagte: »Miss Greenwood, Ihre Freundin will zu Ihnen«, da wußte ich, es war Doreen.
    Ich stellte mich auf die Füße und schwankte benommen in der Mitte des dunklen Zimmers. Ich war wütend auf Doreen, weil sie mich weckte. Meine einzige Chance, diese trostlose Nacht zu überstehen, war ein ordentlicher Schlaf, aber Doreen hatte nichts Besseres zu tun, als mich zu wecken und alles zu verderben. Ich dachte, wenn ich so täte, als schliefe ich, würde das Klopfen vielleicht aufhören und mich in Ruhe lassen, aber ich wartete, und es hörte nicht auf.
    »Elly, Elly, Elly«, murmelte die erste Stimme, während die andere immer wieder zischte: »Miss Greenwood, Miss Greenwood, Miss Greenwood«, als hätte ich eine gespaltene Persönlichkeit oder so etwas.
    Ich öffnete die Tür und blinzelte hinaus in den hell erleuchteten Gang. Ich hatte den Eindruck, es sei nicht Nacht und nicht Tag, sondern irgendeine gräßliche Lücke, die sich plötzlich zwischen beide geschoben hatte und sich nie mehr schließen würde.
    Doreen lehnte im Türrahmen. Als ich heraustrat, kippte sie mir in die Arme. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, weil der Kopf auf die Brust gesunken war und das harte blonde Haar aus den dunklen Wurzeln ihr wie ein Bastrock um den Kopf hing.
    Ich erkannte die kleine, untersetzte, schnurrbärtige Frau im schwarzen Kittel, sie war das Zimmermädchen der Nachtschicht, das in einer winzigen Kammer auf unserem Stockwerk Tages-und Partykleider bügelte. Ich begriff nicht, woher sie Doreen kannte und warum sie ihr half, mich zu wecken, statt sie still und leise in ihr eigenes Zimmer zu bringen.
    Als die Frau sah, daß Doreen in meinen Armen
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