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Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
Autoren: Mindy L. Klasky
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erkannte, als sie sich in der Menge umsah, dass sie alles gewinnen konnte, wenn sie der Initiation zusah. Es fanden in den Straßen der Stadt immerhin nicht jeden Tag religiöse Zeremonien statt. Wenn der Zuchtmeister sie schon schlagen würde, könnte sie ihm ebenso gut einen guten Grund dafür liefern. Sie könnte diesen Initiationstag ebenso gut genießen. Und wenn Larinda im Gildehaus deshalb härter arbeiten musste – umso besser. Immerhin hatte Larinda das Feuer herabbrennen lassen; es war also nur gerecht.
    Eine Hand an ihrer noch immer brennenden Wange, wand sich Rani zielstrebig ihren Weg zum vorderen Rand der Menge. Sie hatte gegenüber den übrigen Menschen auf dem Platz der Kathedrale einen entschiedenen Vorteil – da sie die unauffällige Tracht eines Lehrlings trug, erlaubten es ihr diese kurze Tunika aus schwarzer Baumwolle und ihr einfaches Cape, ungehindert in Lücken zu schlüpfen, die nicht einmal für ein Kleinkind geeignet schienen. Dieses eine Mal war sie dankbar dafür, dass sie für ihr Alter klein war. Einmal drängelte sie jedoch zu sehr, und eine in Samt gekleidete Frau – ihrem kunstvollen Haarteil nach zu urteilen, die Frau eines Soldaten – streckte eine juwelengeschmückte Hand aus, um Ranis Schulter zu ergreifen. Der Glasmalerlehrling lachte laut auf, als er dem Griff der Frau entwich und durch die Reihen vorwärts schoss, während das lächerlich gestärkte Gewand der Frau es ihr unmöglich machte, Rani zu folgen.
    Es wäre nicht gut, wenn in diesem Chaos ein Soldat auf sie gehetzt würde, tadelte sich Rani. Es würde besondere Aufmerksamkeit vom Zuchtmeister garantieren, wenn ein Soldat die Kastenregeln brach, um zum Gildehaus zu kommen und sich über ihr Verhalten zu beschweren. Dennoch, er konnte sich nur beschweren, wenn er sie unmittelbar ertappte, und das war unwahrscheinlich. Als Rani vor eine Reihe adliger Kinder gelangte, die alle gleich kostbar gekleidet waren, konnte sie dem Drang nicht widerstehen, angesichts ihres jammernden Protests eine Grimasse zu schneiden. Eines der vielen Fächer, die Rani als Lehrling lernen würde, war die Wappenkunde, aber im Moment begnügte sie sich damit, sich das Symbol auf dem Wappen der Kinder zu merken. Sie würde später herausfinden, welche Familie sie beleidigt hatte.
    Ranis Herz schlug schneller, und sie erkannte, dass sie sich zum ersten Mal, seit sie der Gilde beigetreten war, tatsächlich amüsierte. Und warum auch nicht? Gildemeisterin Salina konnte nicht wissen, wie lange es dauern würde, Ausbilderin Morada ihr Mittagessen zu bringen. Sie konnte nicht abschätzen, wie lange Rani brauchen würde, um sich ihren Weg durch die Menschenmengen zu bahnen und zu ihrer langweiligen Aufgabe zurückzukehren, die gekalkten Tische der Glasmaler blank zu schrubben. Wenn Rani es richtig plante, könnte sie den größten Teil des Nachmittags fortbleiben, ohne dass ihre Abwesenheit bemerkt würde. Es wäre sogar möglich, dass Larinda aufgefordert würde, die Tische zu schrubben, ganz allein. Und die Töpfe vom morgendlichen Porridge.
    Rani wich einer stark parfümierten Frau mit schwerem Doppelkinn aus und fand sich jäh auf der untersten Stufe der Kathedrale wieder. Sie war von Adel umgeben. All die verschwenderisch gekleideten Personen um sie herum waren auf irgendeine entfernte Art mit dem Prinzen verbunden, der heute Morgen eingeführt würde. Seit ihrer Geburt dazu erzogen, den strengen Regeln von Rang und Privileg zu folgen, wurde Rani zum ersten Mal, seit sie das Gerüst verlassen hatte, von Zweifeln bestürmt. Es war eine Sache, einen Nachmittag herauszuschinden, von den übertrieben wachsamen Hütern der Gilde befreit. Aber es war eine andere Sache, der gesellschaftlichen Tradition zu spotten und während eines Festtages des Adels einen Fuß in die Kathedrale zu setzen. Bevor sie ihr Begehren letztendlich gegen ihre Klugheit abwägen konnte, trug die Menge sie vorwärts und setzte sie auf der Schwelle der Kathedrale ab, vor dem obersten königlichen Herold.
    Dieser Mann, in das karmesinrot-goldfarbene Gewand des Königshauses gekleidet, blickte an seiner unmöglich langen Nase entlang zu ihr hinab. Rani juckte es in den Fingern, ein Stück Kohle zu ergreifen und die Szene auf den Stufen der Kathedrale zu skizzieren. Sie würde den gewölbten Bogen des Eingangs und die geschnitzten Ränge der Götter einfangen, die darauf warteten, Pilger zu den Himmlischen Gefilden zu begleiten. Dem gegenüber würde sie das fließende Gewand des
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