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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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Kompromiss in den § 1631, Abs. 2 BGB aufgenommen. Er trat am 1.   1.   1980 in Kraft:
»Die Personensorge umfasst insbesondere das Recht und die Pflicht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen sind unzulässig.«
    Für Peschel-Gutzeit war damit ein weiterer Schritt getan auf dem Weg zu einer gewaltfreien Erziehung. Denn seit 1980, seit Einführung dieser Gesetzesänderung, »konnte kein Vater, keine Mutter mehr von einem gesellschaftlichen Konsens oder gar einer gesellschaftlichen Billigung ausgehen, wenn sie ihr Kind geschlagen haben.«
    1986 entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass Eltern sehr wohl noch immer »eine Befugnis zur maßvollen körperlichen Züchtigung« haben. Die Züchtigung mit einem stockähnlichen Gegenstand war somit nach Ansicht der fünf hohen Richter nicht pauschal zu verdammen. Anlass für diese Entscheidung war folgenderFall: Eltern hatten ihre 8-jährige Tochter viermal mit einem 1,4 cm starken Wasserschlauch auf Gesäß und Oberschenkel so geschlagen, dass rote Striemen zurückblieben. Das Landgericht Siegen hatte die Eltern daraufhin wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen und Verletzung der Fürsorgepflicht jeweils zu mehrmonatigen Bewährungsstrafen verurteilt und dies so begründet:
     
    Der entwürdigende Charakter einer solchen Züchtigung liegt auf der Hand und wird auch von Kindern entsprechend empfunden, da eine Gleichbehandlung mit Tieren auf der Hand liegt, die eben nicht mit der Hand, sondern mit Gegenständen üblicherweise geschlagen werden.
     
    Auf Revision der Eltern hob der BGH dieses Urteil auf und entschied:
»Der Gebrauch eines Schlaggegenstandes (hier: stabiler Wasserschlauch) überschreitet nicht ohne weiteres die Grenzen des elterlichen Züchtigungsrechts.«
Diese Entscheidung des BGH wurde folgendermaßen begründet:
     
    Der Angeklagte schlug – auf Veranlassung oder mit Zustimmung seiner mitangeklagten Ehefrau – die gemeinsame, damals etwa 8 Jahre alte Tochter Ch., die seit dem 5. Lebensjahr erhebliche Erziehungsschwierigkeiten bereitet hatte, insgesamt in vier Fällen jeweils mehrfach mit einem 1,4 cm starken, in sich stabilen Wasserschlauch auf Gesäß und Oberschenkel. Beide Eheleute hatten Zweifel an der Richtigkeit der durchgeführten körperlichen Züchtigung, hielten dieses Vorgehen aber für das einzig wirksame Erziehungsmittel.
     
    1992 ratifizierte die Bundesrepublik die UN-Kinderrechtskonvention und verpflichtete sich dadurch unter anderem, geeignete Gesetzgebungsmaßnahmen zu treffen, damit Kinder vor jeglicherForm körperlicher und seelischer Misshandlung geschützt werden. Damit war der internationale Druck auf den deutschen Gesetzgeber verstärkt worden, die kinderfeindliche Version des § 1631 internationalen Standards anzupassen. Dänemark, Schweden, Norwegen und Österreich, die ebenfalls diese UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert hatten, legten Gewaltverbote in ihren Gesetzen fest. Deutschland zögerte. Gegner einer solchen Gesetzesveränderung schafften sich Gehör mit dem Argument, eine gesetzliche Änderung würde Eltern kriminalisieren, wenn sie ihrem Kind eine Ohrfeige verpassten. Im Bundestag und Bundesrat wurden in den 1990er Jahren zwar mehrere diesbezügliche Gesetzesänderungen beraten, aber keine verabschiedet.
    1998 wurde im Rahmen der Reform des Kinderschaftsrechts der § 1631 Abs. 2 BGB abgeschwächt. Heraus kam ein Kompromiss ohne ein ausdrückliches Misshandlungsverbot der Eltern. Dennoch ein Schritt in die richtige Richtung. Der neue § 1631 Abs. 2 lautete nun:
»Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Misshandlungen, sind unzulässig.«
    1999 war es dann so weit. Endlich sollte ein Gesetz verabschiedet werden, dass Kindern eine gewaltfreie Erziehung zusicherte. Das Protokoll der 36. Sitzung des Rechtsausschusses und der 23. Sitzung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 1. Dezember 1999, 14 bis 18 Uhr, ist äußerst lesenswert. An diesem Tag traten Experten auf, die sich über das Für und das Wider des von SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung äußerten. Während dieser Anhörung schieden sich die Geister. Die einen hielten Demütigung von Kindern für absolut notwendig, um sie für das Leben zu stählen. Andere lehnten sie als Relikt einer schädlichen schwarzen Pädagogik strikt
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