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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Titel: Die geprügelte Generation
Autoren: Ingrid Müller-Münch
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eigene Menschenwürde und ein eigenes Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne von Art. 1, Abs. 1 und Art. 2, Abs. 1 des Grundgesetzes hat.« Die Juristin verweist darauf, dass es bis zum Jahr 1968 höchst umstritten war, ob das Kind überhaupt Träger eigener Grundrechte ist. In der juristischen Literatur wurde behauptet, und das, so Peschel-Gutzeit, gelte zum Teil bis heute, »dass Kinder zwar Inhaber von Grundrechten sind, sie diese aber, solange sie minderjährig sind, nicht ausüben können.«. Deswegen war es ihrer Meinung nach »eine Sensation«, als das Bundesverfassungsgericht am 29. Juli 1968 wörtlich entschied:
     
    Das Kind ist ein Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne der Art. 1 Ab.1 und der Art. 2 Abs. 1 GG. Eine Verfassung, welche die Würde des Menschen in den Mittelpunkt ihres Wertesystems stellt, kann bei der Ordnung zwischenmenschlicher Beziehungen grundsätzlich niemandem Rechte an der Person eines anderen einräumen, die nicht zugleich pflichtgebunden sind und die Menschenwürde des anderen respektieren. Die Anerkennung der Elternverantwortung und der damit verbundenen Rechte findet daher ihre Rechtfertigung darin, dass das Kind des Schutzes und der Hilfe bedarf, um sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln, wie sie dem Menschenbilde des Grundgesetztes
entspricht; hierüber muss der Staat wachen und notfalls das Kind, das sich noch nicht selbst zu schützen vermag, davor bewahren, dass seine Entwicklung durch einen Missbrauch der elterlichen Rechte oder eine Vernachlässigung Schaden leidet.
     
    Deutlicher, so Peschel-Gutzeit, »konnte das oberste Deutsche Gericht nicht machen, dass das Kind selbst an den Grundrechten aus Art. 1 und 2 GG partizipiert, dass also niemand, weder der Staat noch die Eltern berechtigt sind, gegen die Würde des Kindes zu verstoßen. Was ja der Fall ist, wenn man ein Kind schlägt. Mit dieser Entscheidung setzte das höchste deutsche Gericht neue Maßstäbe für das Eltern-Kind-Verhältnis. Und es bereitete zugleich den Weg für eine rechtliche Aufwertung der Persönlichkeit des Kindes«. Dennoch war ein ausdrückliches Züchtigungsverbot 1968 noch undenkbar.
    1973 wurde in der BRD das Recht auf »körperliche Züchtigung« in pädagogischen Einrichtungen gesetzlich verboten. In einzelnen Bundesländern war dieses Recht schon vorher aufgehoben worden. So in Nordrhein-Westfalen im Jahr 1971. Damit hatten Lehrer, Jugendfürsorger und auch Pfarrer kein Recht mehr, Kindern und Jugendlichen Watschen, Ohrfeigen oder Kopfnüsse zu erteilen.
    Wenn der ehemalige Augsburger Bischof Mixa also über Watschen spricht, die er vor 20 oder 30 Jahren verteilt hat – somit 1980/1990 – und dies damit rechtfertigt, dass Ohrfeigen damals üblich gewesen seien, dann redet er von einer Zeit, in der die »körperliche Züchtigung« längst verboten war. »Gleichwohl«, so die Berliner Zeitung vom 24. April 2010, »wissen alle, die in den späten 70er oder in den 80er Jahren in die Schule gingen, dass es immer noch den einen oder anderen Lehrer gab, der Ohrfeigen verteilte, dies auch durchaus systematisch und nicht nur als Ausrutscher. Warum auch sollten ältere Lehrer das, was lange legitim und probat war, nun nicht mehr anwenden? Sie waren vermutlich schon Lehrer, als der bayrische Staatsminister fürKultus und Unterricht, Alois Hundhammer, im Jahre 1947 eine Kampagne für die Prügelstrafe an bayrischen Schulen begann und sich dabei auf 60 Prozent der Eltern stützte, die die Prügelstrafe wünschten.«
    1978 verfügte ein bayerisches Gericht – trotz des gesetzlichen Verbots der körperlichen Züchtigung in pädagogischen Einrichtungen – dass ein Lehrer wegen der »maßvollen Ausübung des ihm gewohnheitsrechtlich zustehenden Züchtigungsrechts« nicht bestraft werden durfte.
    1980 wurde die Kindschaftsrechtsreform eingeführt, sie war der Beginn einer »neuen Ära im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern«, so Peschel-Gutzeit. »Sie brachte den Übergang von der elterlichen Gewalt zur elterlichen Sorge, die Pflicht der Eltern, auf die Belange ihrer Kinder mehr als bisher einzugehen, Angelegenheiten der Kinder mit ihnen zu besprechen.« Dennoch war damals die Zeit noch nicht reif für ein generelles Gewaltverbot in der Erziehung. Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages lehnte einen solchen Gesetzesvorstoß ab. Stattdessen wurde folgender
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