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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
Autoren: Care Santos
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Abgeschiedenheit weiß. Er atmet mühsam, er hustet, er keucht. Seine Haut ist vergilbt. Wir drehen die Zeit zurück, es geht ihm besser, dazwischen schließt er die Augen, er fühlt sich müde und abgeschlafft, er sehnt sich nach dem Tod, der nirgendwo ist, er langweilt sich. Denn das ist das Leben des Einzelgängers Amadeo Lax: In seine Mansarde eingeschlossen, langweilt ihn, sich an das Vergangene zu erinnern und das Ende abzuwarten. Er denkt wenig nach, denn er hat entdeckt, dass ihn das durcheinanderbringt. Er lernt, erinnerungslos zu leben. Am Ende dieses mühseligen Wartens steht eine Entscheidung: Er wird wieder malen, und zwar für immer. In den abgegriffenen Truhen, in denen er sie versteckt hat, sucht er nach Pinseln und Paletten, und er beschäftigt sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder mit seiner Obsession. Er befestigt eine erste Leinwand, er malt das erste Bild dieses rückwärts verlaufenden Lebens, es ist mit einem Schrecken befrachtet, den er erst versteht, als er die Leinwand betrachtet, die ihm sein Selbstporträt mit einem leichenhaften, monsterartigen Wesen zeigt. Denn das ist aus ihm geworden. ›So ein Mann hat keine Zukunft‹, sagt er sich.
    In der Szene, die wir dann sehen, sieht er plötzlich ein wenig erholt aus. Er kommt im gleichen Maße wieder zu Kräften wie seine Malerei. Er fragt sich, wie man ohne die Malerei leben kann. Die Erinnerungen verwischen, aber sie genügen, um eine Leinwand nach der anderen zu füllen. Teresa ist in seinen Werken allgegenwärtig. Sie ist seine große Obesssion. Nur er allein weiß, wie teuer er sein Verbrechen bezahlt hat. Dass das Verbrechen nach dem Gesetz der Menschen verjährt ist, tut nichts zur Sache, denn ihn richtet Gott, und die Strafe ist ewig und exemplarisch. Und er selbst geht noch härter mit sich zu Gericht als Gott. Er wird sich niemals verzeihen.
    Dreihundertzweiundfünfzig Monate ohne Veränderungen verstreichen. Zehntausend Tage. Neunundzwanzig Jahre. In welcher Einheit wir die Zeit berechnen, ist belanglos, denn sie ist immer unerbittlich. In dieser Zeitspanne verlässt Amadeo kaum das Haus. Gefügig akzeptiert er, von einer sehr jungen und sehr stillen Hausangestellten versorgt zu werden, mit der ihn kaum mehr als eine kulinarische Beziehung verbindet. Sie ist nicht mehr wie das Personal von früher – diese junge Frau hat eine eigene Wohnung, sie kommt jeden Morgen und geht jeden Nachmittag. Amadeo isst fast nie zu Abend, denn allein die Vorstellung, vier Stockwerke hinunterzugehen, um den Kühlschrank zu öffnen, stimmt ihn traurig. Er bleibt in der Mansarde, im Winter im Schutz des Ofens und im Sommer mit dem Wunderwerk der Klimaanlage, dem einzigen Zugeständnis an die Moderne – außer den wenigen Möbeln.
    Als Arcadio auftaucht, weist er die junge Frau an, den ehemaligen Patio ein wenig zu säubern und darin zwei Lehnsessel aufzustellen, die antik aussehen, aber Fälschungen sind, wie so viele andere Dinge in seinem Leben. Hier, unter Teresas Blick, findet das erste Treffen mit diesem zielstrebigen und sympathischen Studenten der Schönen Künste statt.
    Außerdem sieht Amadeo zuweilen Trescents – einen wehmütigen und klagenden Greis –, mit dem er lange Gespräche voller Entscheidungen führt, vor denen er immer fliehen wollte.
    Genau hier liest er eines Tages einen Brief aus Peru, mit dem Siegel des Jesuitenordens. Das Schreiben setzt ihn darüber in Kenntnis, dass Padre Juan in dem Ort Aucaya im peruanischen Amazonasgebiet an Malaria gestorben ist. Nach einem kurzen Bericht der Begleitumstände kondoliert man ihm und empfiehlt ihn Gott. Der Brief datiert aus dem Jahr 1963, aber die berichteten Ereignisse scheinen länger zurückzuliegen. Es wird nicht genauer ausgeführt, wie lange.
    Nun sehen wir Amadeo Lax im hellen Morgenlicht erscheinen. Er kommt bedächtig und seufzt, betritt den Wagenhof und lässt einen ersten Blick darin schweifen. Er sieht dort die Spuren der Brände, die Risse in den Mauern, die leeren Küchen und in einem Winkel des Hofes ein einsames, verlassenes Wagenrad, das als einziger Gegenstand den luxuriösen Geschmack einer anderen Epoche bezeugt. Wie durch ein Wunder entdeckt er im Hof zwischen trockenem Laub, Papier, Speiseresten und toten Tieren die Ecke von einem Stück Papier. Erstaunt hebt er den Briefumschlag vom Boden auf. Er selbst ist der Empfänger, der Brief ist an das Grand Hotel in Rom adressiert. Empfänger unbekannt. Zurück an Absender , liest er auf der Rückseite. Er
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