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Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Ricarda Jordan
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geworden. Und jetzt lag er hier neben Gisbert in Ketten und erwartete den Tod …
    »Monseigneur?«
    Eine freundliche Stimme riss Gisbert aus seinen Grübeleien. Der Tempelritter spähte ins Halbdunkel. Das Verlies war eine Art Erdloch, in das jetzt ein edel gekleideter, nicht mehr ganz junger Mann herabstieg. Der Besucher trug den Mantel eines Kaufmanns – und die Kippa eines Juden. Er sprach die Gefangenen auf Französisch an, was Gisbert dankbar vermerkte. Der Templer sprach kein Ranisch, er hatte sich nur in gebrochenem Deutsch mit seinen Häschern verständigen können.
    »Mein Name ist Baruch von Stralow«, stellte der Kaufmann sich vor. »König Tetzlav hat mir gestattet, Euch aufzusuchen. Wenn es Euch also genehm ist, ein paar Worte mit mir zu wechseln …«
    Jetzt regte sich auch Magnus, der bis eben erschöpft geschlafen hatte. Vorher hatte der Junge das Verlies und seine Ketten fieberhaft auf mögliche Schwachstellen hin durchsucht, die einen Ausbruch ermöglichten. Der Ernst seiner Lage schien dem Knappen allerdings noch nicht wirklich bewusst zu sein. Magnus sah sich wohl inmitten eines Abenteuers. Natürlich war es ein recht gefährliches, aber doch eines, das glücklich enden konnte. Nun sah er verblüfft auf das Mädchen, das in Baruchs Gefolge die Stiege herabkletterte. Es war fast noch ein Kind, jedoch zweifellos eine erblühende Schönheit.
    Magnus rieb sich den Schlaf aus den Augen und wandte sich direkt an das Mädchen. »Wer bist du denn?«, rutschte ihm wenig ritterlich heraus.
    Gisbert beachtete den Jungen nicht weiter, sondern erwiderte den Gruß des Kaufmanns. Baruch von Stralow erklärte ihm in fließendem Französisch, in welcher Mission er nach Arkona gekommen war – und warum sie fehlgeschlagen war.
    Amra starrte Magnus kaum weniger verblüfft an als der Junge sie. Als von zwei Überlebenden die Rede gewesen war, hatte sie mit kräftigen, erwachsenen Rittern gerechnet, nicht mit einem Knaben, der kaum älter war als sie – und obendrein einem so gut aussehenden! Er hatte blonde, lange Locken, ein noch weiches, aber durchaus aristokratisches Gesicht mit vollen Lippen, gerader Nase und großen, hellen Augen. Amra nahm an, dass sie blau waren, aber im Dunkel des Verlieses konnte man das nicht erkennen. Und er sprach Französisch! Bisher hatte noch nie jemand außer Herrn Baruch Französisch mit ihr gesprochen. Der Kaufmann unterrichtete das Mädchen in verschiedenen Sprachen, Amra konnte auch schreiben und lesen.
    »Ich bin Amra«, antwortete sie kurz und vorsichtig. Sie wunderte sich fast, dass der Junge verstand und ihre Antwort mit einem bewundernden Lächeln quittierte.
    »Als du eben hier hereinkamst, erschienst du mir wie ein Engel.« Magnus hatte sich in seinem Elternhaus eher in höfischer Rede als im Waffenhandwerk geübt. Sein Vater war ein ziemlich ungeschlachter Mann, mehr Bauer als Ritter, aber seine Mutter Edita hatte eine höfische Erziehung genossen und sie an ihre Kinder weitergegeben. Von ihr hatte Magnus auch Französisch gelernt. Und konnte nun erstmals sowohl Fremdsprache als auch Schmeichelei an einem leibhaftigen Mädchen erproben. »Aber du hast rotes Haar, soweit ich das in dem Dunkel hier erkenne. Und Engel haben doch kein rotes Haar, oder?«
    Amra runzelte die Stirn. Sie musste erst überlegen, was ein Engel überhaupt sein sollte, im Götterhimmel der Ranen waren sie unbekannt. Das sagte sie dann auch.
    »Engel gibt es hier nicht.«
    Magnus seufzte. »Ja, das hörte ich. Diese Leute hier sind Heiden. Sie beten Furcht erregende Götter an … und es heißt … es heißt, sie sollen ihnen sogar Menschen opfern …«
    Gisbert nickte, als Baruch ihm jetzt den Entschluss des Königs mitteilte. »Ich habe das befürchtet«, sagte er ruhig. »Aber es ängstigt mich nicht, ich bin mit mir und meinem Gott im Reinen. Wenn Ihr allerdings … wenn Ihr noch einmal versuchen könntet, etwas für den Jungen zu tun … Er ist kein Templer, nicht mal ein Novize, und zum Ritter ist er auch noch nicht geschlagen. Wenn die Leute damit argumentieren, dass ein Opfer des Gottes ›würdig‹ zu sein hat, dann müsste der Tod dieses Jungen ihren Svantevit eher beleidigen.«
    Baruch war beeindruckt von Gisberts rascher Auffassungsgabe. Dies war zweifellos ein Argument, das man für Magnus von Lund ins Feld führen konnte. Gisbert schilderte ihm kurz die Geschichte des Knappen, während Magnus sich langsam darüber klar wurde, welches Schicksal seine Häscher für ihn und seinen
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