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Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)
Autoren: Frank Tenner
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konnte nur hoffen, dass sich keiner zum Zeitpunkt der Explosion in der Nähe der Friedrichbrücke aufhalten würde. Oder – es gab noch eine bessere Chance, ich würde die Explosion verhindern. Ich bediente schon zwanzig Meter vom Auto entfernt die Fernbedienung der Tür. Der Wagen sprang sofort an. Ich wusste, dass ich ungefähr zwanzig Minuten bis nach Hause brauchen würde. Zum Glück waren die Straßen nur mäßig belebt, die meisten Menschen hatten an diesem Tag ihr Ziel schon erreicht, saßen jetzt an den gedeckten Tischen ihrer Angehörigen oder warteten wie die Menschen im Dom auf den Beginn des Gottesdienstes. Natürlich gab es keinen Parkplatz. Aber das war mir egal. Ich würde ihn nicht mehr brauchen und es würde auch keinen Nachbarn geben, der sich in einigen Minuten über das Parken in der zweiten Reihe noch beschweren konnte. Meine Frau, die gerade mit einer Strafpredigt beginnen wollte, sah mein aufgelöstes Äußeres, das geronnene Blut an meinem Mund und Kinn, meinen entschlossenen Blick und sagte gar nichts. Ich rannte durchs Wohnzimmer und rief: „Ich erkläre dir gleich alles!“ Im Arbeitszimmer angekommen, wollte ich die Sanduhr vom Schreibtisch nehmen, aber, mir blieb die Luft weg, sie stand nicht an ihrem angestammten Platz. Ich rannte zurück ins Wohnzimmer: „Wer hat meine Sanduhr vom Schreibtisch genommen?“ fragte ich mit keuchender Stimme.
    „Ich. Ich wollte sie mir einmal in Ruhe ansehen. Irgendwie habe ich den Eindruck, dein merkwürdiges Verhalten steht in irgendeinem Zusammenhang mit diesem Ding.“ Ich antwortete darauf nicht.
    „Sag mir bitte, wo du sie hingestellt hast?“
    „Sie steht auf dem Spind. Beruhige dich doch erst einmal.“ Wenn meine Frau gewusst hätte, dass nicht einmal mehr fünf Minuten bis zur Explosion blieben, wäre es wohl mit ihrer Ruhe auch vorbei gewesen. Ich stürmte zum Spind, packte die Uhr mit beiden Händen, drückte den Deckel um einen Eichstrich nach unten und sprach die bekannten Sätze und drehte die Uhr um. Meine Frau schaute mich völlig fassungslos und schweigend an. Wahrscheinlich dachte sie, dass ich auf meinen Kopf gefallen sein musste und nicht mehr zurechnungsfähig sei. Das war mir aber völlig egal. Ich wartete auf den grünen Blitz, aber nichts geschah. Ich wiederholte die bekannte Formel. Nichts. Ein Druck baute sich in meiner Brust auf. Mein Herz schien bersten zu wollen. Es konnten nur noch wenige Minuten bis zur Explosion sein. Ich ließ mich resigniert in einen Sessel fallen. Dann drehte ich die Sanduhr und machte einen letzten Versuch, diesmal sprach ich aber und dies, wie ich spürte aus voller Überzeugung und mit Inbrunst, die Worte der anderen Seite: „Herr, befiehl du deine Wege. Deus Lo Vult!” Ich musste an den Film Münchhausen denken, wie der Held das von Cagliostro erhaltene Geschenk zurückgibt und auf die ewige Jugend verzichtet. Ich meinte laut: „Ich möchte nicht noch einmal alles erleben. Ich will meiner Zeit nicht mehr entfliehen.“ Monique schaute mir schweigend zu, nichts veränderte sich.
    Ich stellte die Uhr auf den Tisch. Gleich würde es eine ferne Detonation geben. Ich schaute auf den großen Zeiger der Wohnzimmeruhr. Nach einigen Minuten richtete meine Frau das Wort an mich: „Hast du dich wieder beruhigt? Und könnest du mir vielleicht erklären, was eigentlich passiert ist und was du gemacht hast?“
    „Das möchte ich selber gerne wissen. Vielleicht erzähle ich dir morgen eine Weihnachtsgeschichte, die du noch nicht kennst. Aber jetzt werde ich erst mal mein Auto umparken, mich waschen, umziehen und dann werden wir noch einmal auf Weihnachten anstoßen. Auf Weihnachten 2008. Und dass Gott doch nicht tot ist. Leg bitte die Mozart-CD mit dem Klarinettenkonzert in A-Dur in den CD-Player. Ich will jetzt Seine Stimme hören.“

Epilog
    Martin Luther meinte in einer seiner Schriften, ließe es sich irgendwie mit der Vernunft begreifen, wieso dieser Gott barmherzig und gerecht ist, wo nur Zorn und Ungerechtigkeit zu sehen sind, dann hätten wir keinen Glauben nötig. Offensichtlich waren sich auch alle großen Theologen wohl bewusst, wie schwer es ist, rational einen guten Gott als Schöpfer und Erhalter der uns sichtbaren Welt auszumachen. All die Ungerechtigkeiten, das Elend, Krankheiten, Kriege, Heuchelei, Hass, Missgunst ohne Ende, Intrigen, Katastrophen, Unfälle, Verrat und Habgier, endloses Leiden, all dies scheint der schlagendste Beweis dafür sein, dass, sofern es einen Gott gibt, er wie
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