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Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)
Autoren: Frank Tenner
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kurz, ich konnte ihm wohl kaum von meiner Sanduhr erzählen, damit hatte ich bisher nicht einmal den Menschen überzeugen können, der mich am besten kannte und am meisten liebte. „Viel zu allgemein. Sie können mir glauben, ich habe mich seit einiger Zeit sehr intensiv mit den Finanzmärkten beschäftigt. Die Prognosen von Roubini sind noch viel zu optimistisch. Nach meinen Einschätzungen wird Lehman Brothers als eines der ersten amerikanischen Bankhäuser zusammenbrechen und eine Lawine auslösen. Es werden zurzeit zahlreiche Leerverkäufe getätigt, es gibt einige Milliardäre, die vom Untergang profitieren wollen, diesen vorausahnen und durch ihre Aktionen den Untergang beschleunigen. Wir werden dies von Deutschland aus nicht verhindern können, aber wir können vermeiden, weitere Gelder in den amerikanischen Finanzmarkt zu transferieren. Wissen Sie, das deutsche Renten- und Krankenkassen ihr Geld auf völlig unsichere Weise in den USA angelegt haben? Und weiter Millionen in Fonds stecken, für die es im Ernstfall keine Deckung oder Absicherung gibt?“
    „Na ja, man will natürlich bei den steigenden Kosten der Kranken- und Rentenkassen möglichst viel aus dem vorhandenen und leider immer weniger werdenden Kapital herausholen. Im Interesse der Versicherten.“
    „Das ist ökonomisches Harakiri auf Kosten der kleinen Leute.
    Aber davon einmal abgesehen ist der gesamte Geldhandel zu einem einzigen Damoklesschwert geworden, ohne eine strikte Neuregulierung des Finanzwesens werden auch wir in Europa ein Chaos bekommen. Die Rot-Grüne-Regierung zeichnete in ihren Regierungsjahren verantwortlich für die Aufhebung wesentlicher und notwendiger Beschränkungen des Geldhandels. Sie können in Ihrer nächsten Bundestagsrede darauf aufmerksam machen und Sie sollten jetzt, in einem halben Jahr werden es alle Parteien und Abgeordneten tun, für staatliche Eingriffe und neue Regulierungsmechanismen oder sogar Verstaatlichungen plädieren!“
    „Sind Sie von Sinnen? Ich soll einige der wenigen vernünftigen
    Maßnahmen der alten Regierung in Zweifel ziehen und gegen die
    Liberalität des Marktes zu Felde ziehen? Gerade ich, der immer den Regulierungseifer des Staates anprangerte? Ich soll Verstaatlichungen fordern?“
    „Ja, genau das sollten Sie. Die Zeiten haben sich geändert und Sie könnten damit eine Vorreiterrolle spielen und wenigstens einen Teil des Schadens, der sonst unvermeidlich sein wird, von den Bürgern unseres Landes abwenden.“
    „Damit käme ich in meiner Partei niemals durch. Man wird mich bei erstbester Gelegenheit hinauskatapultieren.“
    „Manchmal braucht man außer Sachverstand viel Mut und klare Visionen, um sein Amt auszufüllen.“
    „Ich bin kein Sozi, aber in diesem Punkt stimme ich dem alten Schmidt zu, der jedem der Visionen hatte, riet, zum Arzt zu gehen.“
    „Ohne Visionen kann man vielleicht eine Lokomotive fahren, aber keine Gesellschaft in eine menschenwürdige Zukunft steuern.“
    „Hören Sie auf. Ich weiß ja, dass Sie von der DDR geprägt sind und immer alle Hoffnungen auf den Staat setzen. Aber Sie sollten bei wirtschaftlichen Krankheiten oder finanziellen Wehwehchen den Fähigkeiten und Selbstheilungskräften des Marktes vertrauen.“
    „Bei Wehwehchen schon, aber nicht bei der Pest. Ich vertraue nur noch meiner Sanduhr. Die läuft unaufhaltsam ab.“
    „Wovon sprechen Sie? Ich verstehe Sie nicht.“
    „Das ist das Problem, Sie verstehen nicht. Aber im Spätherbst werde ich mir Ihre Reden zur Notwendigkeit einer umfassenden Regulierung anhören müssen.“
    „Zumindest werden Sie sie nicht mehr schreiben müssen.“
    „Da haben Sie vollkommen recht. Ich darf mich verabschieden.“
    „Alles Gute. Und danke für die kompetenten Reden.“
    „Gern geschehen. Sie hätten Sie nur hin und wieder verinnerlichen sollen.“ Ich verließ das Büro und sah wieder einmal meine Überzeugung bestärkt, dass leider viele Menschen und Politiker sind da keine Ausnahmen, oft nicht zu falschen Schlüssen oder Urteilen kommen, weil sie falsche Ausgangsthesen haben, sondern, weil sie gar nicht wissen und mitunter nicht einmal wissen wollen, worüber sie überhaupt reden oder entscheiden.
    Ich überlegte, was ich nun noch tun konnte. Man sollte beim Kopf beginnen. Ich schrieb einige Briefe, nicht zu umfassend, damit sie nicht gleich im Papierkorb landeten und mit einigen interessanten Fakten gespickt. Ich sandte sie an die wirtschaftspolitischen Sprecher aller Bundestagsfraktionen.
    Ein
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