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Die geheimnißvolle Insel

Die geheimnißvolle Insel

Titel: Die geheimnißvolle Insel
Autoren: Jules Verne
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sich der Himmel auf. Gegen Mitternacht erglänzten einige Sterne, und wäre jetzt der Ingenieur hier gewesen, er hätte schnell erkannt, daß diese Gestirne nicht der nördlichen Halbkugel angehörten. In der That schmückte der Polarstern nicht mehr diesen neuen Horizont, und die Sternbildern des Zeniths waren nicht dieselben, welche über dem nördlichen Theile der Neuen Welt stehen, dagegen erglänzte das Südliche Kreuz sichtbar an dem anderen Pole der Welt.
    Die Nacht verrann. Gegen fünf Uhr Morgens, am 25. März, begannen die Höhen des Himmels sich langsam zu erhellen. Noch blieb der Horizont in Dunkel gehüllt, und selbst als der Tag anbrach, entwickelte sich ein dichter Dunst aus dem Meere, der den Gesichtskreis bis auf kaum zwanzig Schritte einschränkte. In langen Wolken rollte jener Nebel schwerfällig dahin.
    Das war ein recht unvermuthetes Hinderniß; die Schiffbrüchigen konnten rings um sich Nichts erkennen. Während die Blicke Nab’s und des Reporters über den Ocean schweiften, lugten der Seemann und Harbert nach der Küste im Westen aus, ohne eine Spur von Land entdecken zu können.
    »Thut nichts, sagte Pencroff, ich sehe die Küste zwar nicht, aber ich fühle sie … dort ist sie … dort … so gewiß, wie wir nicht mehr in Richmond sind!«
    Der Nebel stieg bald empor; er war nur der Vorbote schönen Wetters. Heller Sonnenschein erwärmte seine oberen Schichten, und wie durch ein dünnes Gewebe drangen die Strahlen bis auf das Eiland hindurch.
    So wurden die Dunstmassen gegen halb sieben Uhr, drei Viertelstunden nach Aufgang der Sonne, durchsichtiger. Sie stiegen nach oben. Bald trat das ganze Eiland vor Augen, als tauche es aus einer Wolke empor. Kreisförmig erweiterte sich der Gesichtskreis über dem Meere, nach Osten zu endlos, nach Westen hin aber durch eine hoch aufsteigende, zerklüftete Küste begrenzt.
    Ja! Dort lag das Land, dort die wenigstens vorläufig sichere Rettung. Zwischen dem Eilande und der Küste, die durch einen eine halbe Meile breiten Canal von einander getrennt waren, rauschte das Wasser schnell wirbelnd hindurch.
    Einer der Schiffbrüchigen, der nur sein Herz sprechen ließ, stürzte sich, ohne seine Gefährten vorher davon zu benachrichtigen, ja, ohne nur ein Wort zu verlieren, in den Strom. Es war Nab. Ihn trieb es nach jener Küste hinüber, um in deren nördlichem Theile seine Nachforschungen fortzusetzen. Niemand vermochte ihn zurück zu halten. Vergebens rief ihn Pencroff an. Der Reporter traf Anstalt, Nab nachzufolgen.
    Pencroff wandte sich an denselben.
    »Sie wollen über den Canal hinüber? fragte er.
    – Gewiß, antwortete Gedeon Spilett.
    – Nun wohl, so vertrauen Sie mir und warten das ab. Nab wird genügen, seinem Herrn Hilfe zu bringen. Wenn wir uns in diese Strömung wagten, möchten wir Gefahr laufen, durch die Kraft derselben in’s offene Meer getrieben zu werden. Täusche ich mich nicht ganz, so hängt dieselbe nur mit der Ebbe zusammen. Sie sehen, wie der Sand allmälig bloßgelegt wird. Also fassen wir uns in Geduld; vielleicht findet sich bei niedrigem Wasser eine passirbare Furth …
    – Sie haben Recht, erwiderte der Reporter, trennen wir uns so wenig als möglich.«
    Indessen kämpfte Nab aus Leibeskräften gegen den Strom, den er in schiefer Richtung durchschwamm. Bei jedem Stoße sah man seine schwarzen Schultern auftauchen. Wenn er auch sehr schnell seitwärts getrieben wurde, so kam er doch dem Ufer näher. Zum Durchschwimmen der halben Meile Entfernung zwischen dem Eilande und dem Lande brauchte er wohl eine halbe Stunde und kam nur einige tausend Fuß unterhalb des Punktes an’s Ufer, welcher der Stelle, von der aus er in’s Wasser sprang, gegenüber lag.
    Nab faßte vor einer hohen Granitmauer Fuß und schüttelte sich tüchtig; dann verschwand er schnell hinter einer in’s Meer vorspringenden Felsenspitze von derselben Höhe, wie der westliche Ausläufer des Eilandes.
    Aengstlich verfolgten die Gefährten Nab’s sein tollkühnes Unternehmen, und erst als dieser nicht mehr zu sehen war, wandten sie ihre Blicke auf das Land, in dem sie eine Zuflucht zu finden hofften, wobei sie einige Muschelthiere, die auf dem Sand verstreut lagen, verzehrten. Die Mahlzeit war zwar knapp, indessen doch eine Mahlzeit.
    Die gegenüber liegende Küste bildete eine Bucht, die nach Süden zu in einem sehr spitzen, vollkommen vegetationslosen Vorsprung mit wild zerklüftetem Umrisse auslief. Diese Spitze stand mit dem eigentlichen Uferlande durch sehr
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