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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë
Autoren: Syrie James
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meinem Leben nur noch eine Sache fehlte, die es vollkommen machen würde, etwas, das einmal für mich so wichtig und elementar gewesen war wie das Atmen selbst.
    Ich schaute zu meinem Gatten, dessen dunkles Haupt aufmerksam und konzentriert über seine Zeitung gebeugt war. »Arthur, was hast du um diese Zeit vor einem Jahr gemacht?«, fragte ich ihn nachdenklich.
    »Vor einem Jahr? Da saß ich in einem einsamen, gemieteten Zimmer in Kirk Smeaton und träumte von einem Leben mit dir.« Er legte die Zeitung weg und ergriff meine Hand. »Was hast du gemacht?«
    »Ich saß allein genau hier in diesem Zimmer. Und um die Einsamkeit zu vertreiben, begann ich ein neues Buch zu schreiben.«
    »Ein neues Buch? Was ist daraus geworden?«
    »Ich glaube, ich hatte etwa zwanzig Seiten fertig, als ich die Arbeit daran unterbrach, um einen Brief zu schreiben. Damals war, wenn ich mich recht erinnere, ein gewisser Briefpartner sehr hartnäckig, was einen Heiratsantrag betraf.«
    »Hat sich seine Beharrlichkeit gelohnt?«
    »Ja. Er hat einen langen und unerbittlichen Kampf geführt,dann aber seine Erwählte so sehr vom Wert seines Vorhabens überzeugt, dass sie schließlich das Gefühl hatte, selbst die Siegerin zu sein, als sie sich für ihn gewinnen ließ.«
    Arthur lachte und drückte mir die Hand. Danach wurde er ernst und sagte: »Wenn du jetzt allein wärst, Charlotte – wenn ich nicht hier bei dir wäre –, würdest du wieder schreiben?«
    »Ich nehme an, ja.«
    »Möchtest du gern schreiben?«
    Ich wurde einen Augenblick lang ganz still. »Würde es dir etwas ausmachen? Hättest du das Gefühl, dass ich mich nicht um dich kümmere?«
    »Natürlich nicht. Hast du nicht ohnehin seit unserer Heirat an etwas geschrieben? An einem Tagebuch, vermute ich?«
    Mein Puls begann schneller zu schlagen. »Ja, das stimmt. Ich dachte nicht, dass du etwas davon gemerkt hättest. Hast du etwas dagegen?«
    »Warum sollte ich? Charlotte, du bist Schriftstellerin. Das wusste ich lange, bevor ich dich geheiratet habe. Das machst du gern, und es ist ein Teil von dir. Ich werde dich immer lieben, ob du nun schreibst oder nicht. Wenn du genug davon hast, dann höre auf. Wenn es dir Vergnügen bereitet, Tagebuch zu führen, dann tue es. Wenn du eine Geschichte hast, die du unbedingt erzählen willst, dann nimm dir Papier und Tinte oder deinen Bleistift und erzähle sie.«
    Mit klopfendem Herzen legte ich mein Strickzeug aus der Hand und rannte die Treppe hinauf. Ich nahm die Seiten, die ich im Jahr zuvor verfasst hatte, und trug sie nach unten. Als ich meinen Platz beim Feuer wieder eingenommen hatte, sagte ich: »Meine Schwestern und ich, wir haben uns unsere Werke immer gegenseitig vorgelesen und dann darüber gesprochen. Möchtest du hören, was ich bis jetzt geschrieben habe?«
    »Ja, gern.«
    Ich las ihm das zwanzigseitige Fragment vor. Es war die Geschichte eines mutterlosen Mädchens, das ein englisches Internat besucht und herausfindet, dass der Vater ihm Lügen über seinen Titel und seinen Besitz erzählt hat und nicht beabsichtigt, die Schulgebühren für seine Tochter zu bezahlen. Dann findet sie einen neuen und unerwarteten Wohltäter. Arthur hörte mit Interesse und Aufmerksamkeit zu. Anschließend trug er mir in einer angeregten Unterhaltung seine Meinung und seine Einwände vor. Er befürchtete, man könnte mir vorwerfen, dass ich schon wieder über eine Schule schrieb, doch ich erklärte ihm, dass dies ja nur der Anfang eines Romans sei und ich die Geschichte in eine völlig andere Richtung entwickeln wollte. Er gestand mir ein, dass ihm bisher sehr gut gefallen hatte, was ich vorgelesen hatte, und dass er es für vielversprechend hielt.
    »Wirklich?« Ein kleiner Wonneschauer überlief mich. »Es ist so viele Jahre her, dass ich mit jemandem über meine Arbeit sprechen konnte, aber wie sollte ich denn die Zeit finden, ein neues Buch zu schreiben?«
    »Wir können dir jeden Tag einige Stunden für diese Beschäftigung einräumen, wenn du möchtest – und ich verspreche«, fügte er mit neckendem Blick hinzu, »dir mit meinem unschätzbaren Rat nur zur Seite zu stehen, wenn ich darum gebeten werde, und dir ansonsten aus den Augen zu bleiben.«
    »Vielen Dank, Liebster.« Ich küsste ihn und begriff, dass ich doppelt gesegnet war. Ich war nicht nur mit dem besten aller Männer verheiratet – einem liebevollen Gatten, mit dem ich alle Freuden und Sorgen des Alltags teilen konnte –, sondern nun wusste ich auch, dass ich nie wieder
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