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Die geheime Braut

Die geheime Braut

Titel: Die geheime Braut
Autoren: Brigitte Riebe
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»Das bedeutet Frohsinn.«
    »Ja, und zu ihr gehören Aglaia, der Glanz, und Thalia, die Blüte. Zusammen sind sie die drei Grazien. Jetzt ist das Werk vollendet. Und ein neuer Käufer hat sich auch gefunden – einer, der diese Schönheit verdient.«
    Sie fährt zu ihm herum. Ihre Augen sind feucht.
    »Wie kannst du so etwas sagen? Die beiden mussten einen viel zu hohen Preis bezahlen, während ich …«
    »Du hast die Angst besiegt. Und den Tod. Deshalb stehst du heute hier.« Sein Blick wirkt beruhigend. »Und was das Bild betrifft …«
    »Ich kann den Hauch des Bösen riechen, den es verströmt«, unterbricht sie ihn. »Riechst du das denn nicht?«
    Er beginnt zu schmunzeln.
    »Wer hat jemals behauptet, dass frischer Firnis wie Rosenöl duftet?«, sagt er. »Malen ist ein schmutziges Geschäft. Hab ich dir das nicht gleich gesagt?« Er hält ihr seine Hände entgegen. Unter den Nägeln sieht sie die Reste von Farbspuren, die ihr schon bei der ersten Begegnung ins Auge gesprungen waren. »Zudem eines, bei dem man in der Regel alles andere als reich wird. Es sei denn, man führt eine große Werkstatt wie Meister Cranach. Aber das habe ich gewiss nicht vor.«
    Ihr Verlangen, ihn zu berühren, wird übermächtig. Durch den dünnen Hemdstoff spürt sie die Wärme seiner Haut.
    »Was dann?«, fragt sie leise.
    »Ich denke, das weißt du.«
    Als er ihre Hand nimmt und sie an sich zieht, vergräbt sie das Gesicht an seinem Hals.
    »Sag es trotzdem!«, fordert sie. »Ich muss es hören.«
    »Dich glücklich machen.« Es klingt so feierlich wie ein Gebet. »Und zwar bis zum Ende aller Zeiten. Das, mein Herz, ist das Einzige, was für mich zählt.«

N ACHWORT
    Z EICHEN UND W UNDER
    I m Jahr 1523 übergaben Philipp Melanchthon und Martin Luther einem Wittenberger Drucker eine kurze Schrift über zwei Monster. Melanchthon schrieb über eine weibliche schup pige Gestalt mit einem Eselskopf, Luther über ein verformtes Kalb. Das Eselsmonster war 1496 tot im römischen Tiber aufgetaucht, das Kalb kürzlich im sächsischen Freiberg. Luther schrieb, die »greulichen Figuren« seien gottgesandte Zeichen. Das tonsurierte Kalb mit der zerfetzten Mönchskappe zeige, dass Gott »die ganze Möncherei und Nunnerei für einen lügenhaften Schein halt«. Alle Mönche und Nonnen sollten ihre Klöster verlassen und die Adeligen ihre Kinder vor diesem gefährlichen Stand bewahren. Melanchthon mahnte ebenfalls, man solle die göttlichen Zeichen nicht verachten. Das Monster aus dem Tiber beweise, dass nun die vom Propheten Daniel geweissagte Zeit des »Antichrist« gekommen sei. So wenig wie der Eselskopf auf einen menschlichen Körper passe, so wenig passe der Papst als geistliches Oberhaupt auf die Kirche. Kirchenoberhaupt sei allein Christus. Der linke Fuß sei eine Greifskralle, weil die Kanoniker sich alle Güter Europas für den Papst krallten. Frauenbauch und Frauen brüste bedeuteten den Körper des Papsttums, nämlich Kardi näle, Bischöfe, Mönche und Pfaffen, denn ihr Leben sei nur Fressen, Saufen und Unkeuschheit. Die Fischschuppen seien die Fürsten, die weiter an dieser Ordnung klebten.
    Mit solchen Aufrufen bewirkten Luther und Melanchthon tatsächlich grundlegende geschichtliche Änderungen: Unzäh lige Klöster wurden aufgelöst, Priester heirateten. Das tägliche Leben sollte nach christlichen Maßstäben ausgerichtet sein, die nun neu bestimmt wurden. Die Kommentare zu den Mons tern verdeutlichen außerdem das Geschichtsbild der beiden einflussreichsten deutschen Reformatoren: Alles geschehe durch Gottes Fügung bis ans Ende der Welt. Es komme nun darauf an, jene Zeichen deuten zu lernen, die den Jüngsten Tag und den Willen Gottes anzeigten, um die wahre Lehre zu verkünden. Hierin liege die christliche Pflicht in der endzeitlichen Welt, in der Antichrist und Teufel wüteten. Als »Anti christ« entlarvten und bekämpften die Reformatoren den Papst und die römische Kirche selbst.
    Diese Kritik war radikal, und sie veränderte auch das Chris tentum radikal. Tägliches Tun und Lassen war Gott gefällig oder zuwider und hatte deshalb Konsequenzen für das ewige Leben. Viele Fragen wurden aufgeworfen. Wie wurde über Sün den gerichtet? Ließen sie sich im Leben wiedergutmachen? Wie nah war das Weltende (von dem alle ausgingen)?
    Noch komplexer wurde die vormoderne Christlichkeit durch den Glauben an dämonische Mächte, die tatkräftig in das Welt geschehen und das individuelle Leben eingriffen. Der Teufel konnte bisweilen
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