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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Martina Kempff
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Wind«, sagte sie leise und erschauerte vor der Kälte, die vom Steinboden der Kirche durch ihre Fellschuhe ihren Körper hinaufwanderte. »Ich habe lange keine Palmen mehr gesehen, Lucas. Wie schön es doch wäre, wieder die Sonne auf meiner Haut zu spüren. Das Rufen des Muezzins zu hören. Genau zu wissen, wann der Ramadan beginnt, und dabei nicht allein zu sein. Einen Sternenhimmel zu sehen, der zum Greifen nah ist. Wieder Shabbut zu essen … «
    »Was ist das?«, fragte Lucas misstrauisch.
    »Gebratener Karpfen, der einen gar köstlichen Duft verströmt. Und der in süßen Gewässern heimisch ist. So wie ich in Bagdad, Lucas. Ich will nach Hause. Mit dir und den Kindern.«
    Er sagte lange nichts.
    »Immer noch Heimweh, wiewohl du erstmals vor achtzehn Sommern hergekommen bist«, flüsterte er schließlich und zog sie an sich.
    »Vor neunzehn Wintern«, flüsterte sie. »Das ist viel schlimmer. Auch in Bagdad wird gebaut, Lucas. Dort gibt es keinen Winter. Wir werden ein Auskommen haben. Ich könnte als die Tochter des Yussuf ibn Yakub zurückkehren. Seinen Schwiegersohn wird man gewiss willkommen heißen. Denn Yussuf ibn Yakubs Name gilt im Reiche des Kalifen noch etwas, er ist mit dem Bau von tausend Kuppeln verbunden.«
    »Und mit einer hier in Aachen «, sagte Lucas leise.
    »Auch das hat in Bagdad seinen Anfang genommen«, sagte Ezra, »was außer uns niemand mehr weiß. Kaiser Karl ist tot. Isaak ist tot. Auch der Kalif Harun al Raschid wandelt inzwischen im Garten des Paradieses. Vielleicht sogar gemeinsam mit meinem Vater.«
    »Und mit dessen Sohn?«, fragte Lucas leicht belustigt. »Wird auch er sterben müssen? Denn in Bagdad könnte sich jemand an den Knaben Ezra erinnern … «
    »… und sich freuen, ihn als erwachsenen Mann wiederzusehen«, vollendete Ezra seinen Satz. Sie lächelte verstohlen und setzte hinzu: »Ezra lebt. Er wird es sich nicht nehmen lassen, gelegentlich die Familie seiner Schwester zu besuchen; vielleicht sogar bei ihr wohnen. Um deren Mann ins Haus der Weisheit zu geleiten – und zu allen anderen Orten, die Frauen in Bagdad wohl immer noch verwehrt sind.«
    Lucas las Hoffnung in Ezras Gesicht. Er bedachte, wie viele Opfer die geliebte Frau erbracht hatte; wie sie sich jahrelang in einer oftmals feindlichen Fremde hatte verstellen müssen und ihre eigenen Bedürfnisse dem Bau der capella untergeordnet hatte. Für ihre großartige Leistung würde sie nie Ruhm ernten. Wer verstanden hatte, die Kuppel der Marienkirche zu wölben, würde für alle Zeiten ein Geheimnis bleiben.
    Das Herz zog sich ihm zusammen, als er an ihre jüngsten Zeichnungen dachte, von einem Haus gleich dem, in dem sie aufgewachsen war. Das in Aachen nie gebaut werden würde, weil das Dach und die Mauern der fränkischen Witterung und sie beide Kaiser Ludwig nicht würden standhalten können.
    Ezra hatte recht. Wie so viele andere auch mussten sie die Stadt verlassen. Mehr als die Hälfte ihres Lebens hatte seine Frau fern ihrer Heimat verbracht, von der sie immer noch sprach, als hätte sie diese erst kürzlich verlassen. Warum nicht dorthin ziehen, wo Ezras Sehnsucht wohnte und eine Zukunft winkte? In Aachen hatten sie keine mehr.
    »Also gut«, sagte er kurz entschlossen. »Wir werden den Winter hinter uns lassen, Ezra. Ich bin bereit, mich von allem hier zu verabschieden, auch wenn es mir nicht leichtfallen wird.«
    Ezra schlang die Arme um ihn.
    »Sieh es anders«, flüsterte sie ihm zu. »Als ich unter Tränen einst Bagdad verließ, tröstete mich mein Vater mit den Worten: ›Jeder Abschied ist die Geburt einer Erinnerung‹.«

nachwort
    Den unzähligen Legenden und Geschichten, die sich um Karl den Großen und seine Pfalzkapelle ranken, habe ich mit viel Vergnügen eine weitere hinzugefügt; eine Mär mit einem wahren Kernbau, der auch zwölfhundert Jahre später noch in Aachen zu besichtigen ist. Und mit einer These, die man als höchst abenteuerlich abtun, aber historisch nicht grundsätzlich widerlegen kann: Warum sollte Harun al Raschid, Kalif von Bagdad, dem Frankenherrscher neben vielen anderen großzügigen Gaben nicht auch einen Baumeister geschickt haben?
    Karl hätte das Geschenk bestimmt dankend angenommen und es sofort zur streng geheimen Verschlusssache erklärt. Sein Biograf Einhard hätte sich gehütet, der Nachwelt etwas kundzutun, was überhaupt nicht in sein Gesamtkonzept des großen christlichen Kaisers gepasst hätte. Am Bau der Pfalzkapelle soll Einhard selbst ja auch maßgeblich
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