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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Martina Kempff
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retten.
    »Schneller!«, rief Isaak von unten. »Du musst nicht alles aufsammeln. Ein paar Bänder genügen.«
    »Hol dir doch feste Stricke aus dem Haus«, versetzte der Stoffhändler, die Arme schon wieder voller Stoff. Doch er kam nicht dazu, das erste Bündel in den Karren zu werfen. Isaak war herbeigeeilt und zerrte so heftig an einem langen türkisgrünen Streifen, dass der Stoffhändler abermals ins Taumeln geriet und einen Teil seiner rasch eingesammelten Ware wieder opfern musste.
    Er ließ sich auf die Treppe fallen und brach in Tränen aus, als der Fernhändler unbekümmert den anderen Mann mit prächtiger Seide fest verschnürte.
    Nach getanem Werk klopfte Isaak dem untröstlichen Stoffhändler auf die Schulter.
    »Nie sind Strolche in feinere Fesseln geschlagen worden«, sagte er begütigend und sah sich nach den arabischen Leibwächtern um. Denen war es endlich gelungen, die Pferde zu bändigen. Gerade noch rechtzeitig, denn jetzt wurde der Baumeister von den beiden Schergen aus dem Haus geschleift. Der Stoffhändler sprang entsetzt zur Seite.
    Mit lautem Geheul und erhobenen Krummsäbeln stürzten die Männer des Kalifen auf die Treppe zu. Augenblicklich ließen die Entführer den Baumeister los, zückten ihre Dolche und setzten zum Sprung von der Treppe an. Dabei glitt einer auf einem Bündel safrangelben Seidenbandes aus. Er suchte im Fallen Halt an seinem Kumpanen und riss ihn mit sich die Stufen hinunter. Die Männer des Kalifen ließen ihre Säbel fallen, fingen die Herunterstürzenden geschickt auf und schlugen mit den Fäusten auf sie ein, bevor sie sich erheben konnten. Eingedenk Isaaks Auftrags »wenn möglich, ohne folgenreiches Töten« packten sie die ihnen zugeflogene menschliche Beute mit den herumflatternden Stoffstreifen umstandslos und geschwind ein.
    Isaak blickte auf die Schergen, die wild an den bunten Bändern zerrten und Verwünschungen ausstießen, die denen des Stoffhändlers in nichts nachstanden.
    »Das könnt ihr besser«, sagte er zu den Leibwächtern. »Und stopft ihnen den Mund. Da, der Mann hat noch viel mehr Seide. Nehmt sie euch.«
    Der Stoffhändler warf ihm einen tödlichen Blick zu und er dem Mann einen schweren Lederbeutel voller ausgesuchter Halbedelsteine. »Das dürfte dir dein Ungemach mehr als nur vergelten«, sagte er. »Jetzt hör endlich auf zu jammern. Siehst du denn nicht, dass es um Leben und Tod geht?«
    Er forderte die Leibwächter auf, die vier Gefesselten so schnell wie möglich in den Ziegenstall zu schaffen. Da traf ihn plötzlich selbst ein Schlag am Kopf. Er taumelte.
    »Nein!«, rief der Stoffhändler entsetzt. Er fiel seiner fülligen Begleiterin in den Arm, entriss ihr die Schneiderelle und drückte ihr den Beutel in die Hand. »Du kannst doch unseren Kunden nicht niederschlagen!«
    Benommen rieb sich Isaak die Stirn. Mit beiden Händen stützte er sich an einer Stufe ab und blickte hinauf zur immer noch offenen Tür.
    »Wo ist Yussuf ibn Yakub?«, brachte er hervor. »Der war doch eben noch hier.«
    »Wer?«, fragten der Stoffhändler und die Frau zugleich.
    Mit offenem Mund sah Isaak an den beiden über ihn Gebeugten vorbei. Er hatte eine Erscheinung.
    Eine wunderschöne sehr junge Frau von hohem Wuchs. Wie aus dem Nichts gekommen, stand sie engelsgleich in einem schlichten weißen Kleid in der Türöffnung. Auf ihrer Stirn prangte unter dem streng zurückgekämmten glatten Schwarzhaar ein feines dunkles Mal wie ein Moschuskorn auf einer Lilienblüte. Es wird wohl der Erdkrumen sein, dachte Isaak, der an ihr haften blieb, nachdem der Himmel sie zu uns Sterblichen hinabgeschickt hat. Aus mandelförmigen Augen, graugrün wie das winterliche Mittelmeer, schaute die Erscheinung auf den Fernhändler, hob die Arme und verkündete mit einer Stimme, die zwar heiser klang, der aber dennoch ein heller Glockenton innewohnte: »Wie gut, dass du gekommen bist, Isaak! Jetzt bring uns schnell von hier fort!«
    Auf deinen Schwingen fliege ich überall hin, wollte der Fernhändler sagen und wurde vor Verzückung ohnmächtig.

kapitel 2
    der grundriss
    Wenn ich nach einem Lande ziehe und Gutes suche,
    So weiß ich niemals, was von beiden mir dort naht:
    Ob es das Gute ist, das ich im Sinne habe,
    Ob es das Böse ist, das mich im Sinn hat.
    Aus 1001 Nacht (die 983. Nacht)
    april 795
    D as Unheil ereilte sie weder auf der vielfach unterbrochenen Fahrt über das sturmgepeitschte Mittelmeer noch auf dem beschwerlichen Ritt durch verschneite Ebenen und über kaum
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