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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1
Autoren: Patrick Rothfuss
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waren, in weite Fernen schweifte, und dass aus seinem Gesichtsausdruck, wiewohl er gelassen war, keinerlei Freude sprach. Er summte oder pfiff nicht bei der Arbeit. Und er sang auch nicht dabei.
    Als er die Äpfel fertig sortiert hatte, trug er den Bottich zur Hintertür hinaus. Es war ein kühler Herbstmorgen, und hinter dem Wirtshaus befand sich, von einigen Bäumen umschirmt, ein kleiner, privater Garten. Kote kippte eine Ladung geviertelte Äpfel in die hölzerne Presse, die dort stand, und schraubte den Deckel drauf.
    Dann krempelte er sich die Ärmel hoch, packte mit seinen langen, anmutigen Händen die Griffe der Presse und zog. Die Presse drückte die Apfelstücke enger zusammen und zerquetschte sie dann. Drehen und neu zupacken. Drehen und neu zupacken.
    Wenn jemand zugesehen hätte, hätte der bemerkt, dass Kote nicht die teigigen Arme eines Gastwirts hatte. Während er an den Holzgriffen zog, traten seine Unterarmmuskeln wie Seilstränge hervor. Alte Narben zogen sich kreuz und quer darüber. Die meisten waren blass und dünn wie Risse im Eis. Andere aber waren rot und traten auf der hellen Haut deutlich hervor.
    |24| Die Hände des Wirts packten zu und zogen, packten zu und zogen. Man hörte nur das rhythmische Knarren im Holz und das träge Plätschern, mit dem der Most in den darunter stehenden Eimer lief. Das Ganze hatte einen Rhythmus, aber es lag keine Musik darin, und die Augen des Wirts blickten abwesend und freudlos und waren so blassgrün, dass sie fast als grau durchgegangen wären.

|25| Kapitel 2
Stechpalme
    D er Chronist kam die Treppe herab und betrat den Schankraum des Wirtshauses zum WEGSTEIN, seine flache Ledermappe über der Schulter. Im Durchgang verharrend, betrachtete er den rothaarigen Wirt, der sich aufmerksam über etwas auf dem Tresen beugte.
    Der Chronist räusperte sich, als er den Raum betrat. »Es tut mir leid, dass ich so lange geschlafen habe«, sagte er. »Das ist sonst gar nicht …« Er verstummte, als er sah, was auf dem Tresen stand. »Backt Ihr Kuchen?«
    Kote, der gerade vorsichtig mit den Fingerspitzen den Teigrand formte, hob den Blick. »Ja. Wieso?«
    Der Chronist öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Sein Blick huschte zu dem Schwert hinauf, das grau und still an der Wand hinter dem Tresen hing, und dann zu dem rothaarigen Mann zurück, der behutsam den Teig am Rand einer Backschale betastete. »Was ist es denn für ein Kuchen?«
    »Apfelkuchen.« Kote richtete sich auf und schnitt sorgfältig drei Schlitze in die Teigdecke. »Wisst Ihr, wie schwierig es ist, einen wirklich guten Kuchen zu backen?«
    »Äh, nein«, gestand der Chronist und sah sich nervös um. »Wo ist denn Euer Gehilfe?«
    »Selbst Gott wäre da aufs Geratewohl angewiesen«, sagte der Wirt. »So schwierig ist es. Kuchen backen, meine ich. Man möchte es nicht glauben, aber es gibt da unendlich viel, was man falsch machen kann. Brot backen ist einfach. Suppe kochen auch. Pudding sowieso. Aber Kuchen backen – das ist verzwickt. Und das ist etwas, das einem erst klar wird, wenn man es selbst mal ausprobiert hat.«
    |26| Der Chronist nickte vage und schien nicht recht zu wissen, was sonst noch von ihm erwartet wurde. Er nahm seine Mappe zur Hand und legte sie auf einen Tisch.
    Kote wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Wenn man Äpfel auspresst, um Apfelwein zu machen – kennt Ihr diese Fruchtmasse, die dabei übrig bleibt?«
    »Den Trester?«
    »
Trester «
, sagte Kote voller Erleichterung. »
So
heißt das. Was macht man damit, nachdem man den Saft rausgepresst hat?«
    »Aus Traubentrester kann man einen leichten Wein keltern«, sagte der Chronist. »Und wenn man größere Mengen davon hat, kann man auch Öl daraus gewinnen. Apfeltrester aber ist ziemlich nutzlos. Den kann man als Dünger oder Mulch verwenden, er taugt aber für beides nicht besonders gut. Meistens verfüttern ihn die Leute an ihr Vieh.«
    Kote nickte nachdenklich. »Es kam mir auch so vor, dass sie den Trester nicht einfach nur wegwerfen. Hier in der Gegend wird alles irgendwie noch weiterverwertet. Trester.« Er sprach es aus, als kostete er das Wort. »Darüber hab ich mir jetzt seit zwei Jahren immer mal wieder den Kopf zerbrochen.«
    Der Chronist guckte verdutzt. »Das hätte Euch doch jeder hier im Ort sagen können.«
    Der Wirt runzelte die Stirn. »Wenn es etwas ist, das jeder weiß, kann ich es mir nicht leisten, danach zu fragen«, sagte er.
    Man hörte eine Tür zufallen und dann ein fröhliches Pfeifen.
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