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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1
Autoren: Patrick Rothfuss
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hatte also zumindest teilweise Erfolg gehabt. Wenn ich fünf Bogensehnen durchtrennt hatte, brauchten wir nur noch gegen einen oder zwei Schützen zu kämpfen.
    Doch kaum hatte ich den Bogen aus den Händen verloren, spürte ich, wie die Kälte in mich kroch. Sie erfasste nicht nur meine Arme, sondern auch Bauch, Brust und Hals. Da ich gewusst hatte, dass ich mich, wenn ich fünf Bogensehnen auf einmal durchtrennen wollte, nicht allein auf die Stärke meines Arms verlassen durfte, hatte ich mich zusätzlich der einzigen Wärmequelle bedient, die dem Arkanisten immer zur Verfügung steht: des eigenen Bluts. Doch jetzt würde ich gleich Binderfrost bekommen. Wenn ich mich dann nirgends aufwärmen konnte, würde ich in einen Schock fallen und zuletzt an Unterkühlung sterben.
    Ich löste mich aus dem Steinernen Herz und ließ unter einigen Schwindelgefühlen zu, dass sich die Teile meines Bewusstseins wieder vereinten. Frierend, nass und benommen kletterte ich ans obere Ende der Böschung zurück. Regen tropfte kalt wie Eis auf meine Haut.
    Ich sah nur noch einen Bogenschützen. Er bemerkte mich leider sofort. Sobald mein Gesicht über dem Kamm erschien, spannte er den Bogen und schoss.
    Ein Windstoß rettete mich. Der Pfeil schlug helle Funken aus einem keine zwei Fuß von meinem Kopf entfernten Felsen. Regen |856| prasselte mir ins Gesicht, und Blitze überzogen den Himmel. Ich duckte mich wieder hinter den Kamm und stach in blinder Wut auf die Leiche des Wachpostens ein.
    Zuletzt traf ich auf eine Schnalle, und die Klinge brach ab. Keuchend ließ ich das Messer fallen. Martens verlorenes Gemurmel brachte mich wieder zu Besinnung. Kalt und bleiern hingen meine Arme an mir.
    Schlimmer war noch, dass ich spürte, wie sich als Folge meiner Unterkühlung Trägheit und Benommenheit in mir ausbreiteten. Zwar zitterte ich nicht, aber das war, wie ich wusste, ein schlechtes Zeichen. Ich war bis auf die Haut durchnässt und konnte mich nirgendwo aufwärmen.
    Wieder erhellte ein Blitz den Himmel. Da hatte ich eine Idee. Ich lachte schrill.
    Ich blickte über den Kamm und sah zu meiner Freude keinen Schützen mehr. Doch der Anführer brüllte neue Befehle, und gewiss wurden die gerissenen Sehnen gleich ersetzt oder neue Bögen herangeschafft. Oder schlimmer, die Banditen stürmten einfach aus dem Lager und überrannten uns mit ihrer Übermacht. Ein gutes Dutzend von ihnen hielt sich noch auf den Beinen.
    Marten lag betend auf der Böschung. »Tehlu, der du das Feuer überlebt hast, beschütze mich vor dem Feuer.«
    Ich versetzte ihm einen Tritt. »Steh sofort auf oder wir sind alle tot.« Marten verstummte und hob den Kopf. Ich brüllte irgendetwas, beugte mich über ihn und zog ihn am Hemdkragen hoch. Mit der einen Hand schüttelte ich ihn heftig, mit der anderen gab ich ihm seinen Bogen.
    Es blitzte erneut, und ich sah, was auch Marten sah. Meine Hände und Arme waren mit dem Blut des Wachpostens bedeckt. Der Regen hatte es zu Schlieren verdünnt, aber nicht weggewaschen. Im grellen Licht des Blitzes wirkte es schwarz.
    Marten nahm stumm den Bogen. »Schieß auf die Eiche im Lager«, rief ich durch den Donner. Er starrte mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Los, schieß!«
    Etwas an meinem Ton musste ihn überzeugt haben, doch seine Pfeile lagen auf dem Boden verstreut. Er machte sich auf die Suche |857| nach einem und begann wieder mit seiner Litanei. »Tehlu, der du Encanis auf das Rad gedrückt hast, beschütze mich in der Nacht.«
    Endlich fand er einen Pfeil und legte ihn unablässig betend mit zitternden Händen auf. Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Lager zu. Der Anführer hatte seine Männer wieder um sich gesammelt. Ich sah ihn Befehle rufen, hörte aber nur Martens zittrige Stimme:
     
    Tehlu, der du die Wahrheit siehst,
    Beschütze mich.
     
    Der Anführer blieb plötzlich stehen, legte den Kopf schräg und verharrte vollkommen bewegungslos, als lausche er auf etwas. Marten betete weiter:
     
    Tehlu, Sohn deiner selbst,
    Beschütze mich.
     
    Der Anführer blickte hastig nach links und rechts, als habe er ein verdächtiges Geräusch gehört. Dann legte er wieder den Kopf schräg. »Er hört dich!«, schrie ich Marten wütend an. »Schieß! Er bereitet etwas vor!«
    Marten zielte auf die Eiche. Der Wind zerrte an ihm, während er betete.
     
    Tehlu, der du Menda warst,
    Beschütze mich in Mendas Namen,
    In Perials Namen
    In Ordals Namen
    In Andans Namen
    Beschütze mich.
     
    Der Anführer hob
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