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Die fünf Leben der Daisy West

Die fünf Leben der Daisy West

Titel: Die fünf Leben der Daisy West
Autoren: Cat Patrick
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geöffnet zu haben. Doch ...
    Ihr Gesichtsausdruck ist wie immer. Roboterhaft. Aber auch ein wenig neugierig.
    Ich sehe, wie sie etwas in ihr Smartphone tippt. Wie kann sie in so einem Moment arbeiten? Meine zweite Leitung piept. Obwohl ich weiß, wer es ist, beschließe ich ranzugehen, in der Hoffnung, dass Gott Erbarmen mit mir haben wird. Ich stelle zu ihm um.
    »Jetzt siehst du, dass es ein Fehler war«, teilt er mir genüsslich mit. Als ich nicht darauf reagiere, fährt er frohgemut fort: »Die Katze ist ja jetzt wohl aus dem Sack. Hiermit stelle ich dir Jesus vor, liebe Daisy, dir bislang unter dem Namen Cassie bekannt.«
    Mit großen Augen starre ich ungläubig auf die Frau, mit der ich sechs Jahre lang zusammengelebt habe. Die Frau, die ich nach außen wie eine Mutter lieben sollte. Jetzt verstehe ich: Sie stand die ganze Zeit mit ihm in Kontakt. Heute. Vielleicht schon immer.
    Vergeblich rüttele ich abermals an der Tür. Lächelnd zuckt Cassie mit den Achseln. Dann wendet sie sich ab, als wäre nichts geschehen. Über der Schulter trägt sie meinen Schulrucksack und in den Händen jeweils eine kleine Kiste.
    »Du brauchst dich nicht schlecht zu fühlen, Daisy«, säuselt Gott in mein Ohr. »Dir wird jetzt leider nur zum Verhängnis, dass du so schlau bist. Von Anfang an war klar, dass ihr diesen Tag nicht überleben werdet, du und Mason. Die Bienen sind nur ein unverhofftes kleines Extra. Viel Spaß noch damit!«
    Nachdem Gott die Verbindung unterbrochen hat, kann ich nicht mehr an mich halten: Ich schreie, so laut ich kann. Eine Biene sticht mich auf die Zunge, was ich schlechter verkrafte als die äußeren Stiche. Entschlossen beiße ich zu und spucke das Insekt aus. In meiner Verzweiflung wechsele ich wieder zu Matts Leitung, doch er ist nicht mehr da. Ich lasse das Telefon sinken und renne zum Gartenschlauch. Trotz bereits zugeschwollener Augen gelingt es mir, das Wasser anzustellen und den Großteil der Bienen damit zu verjagen.
    Doch es ist zu spät.
    Sie haben schlimm gewütet.
    Ich keuche, ich quelle immer weiter auf, bis ich schließlich auf den Betonplatten zusammenbreche. Der Gartenschlauch gleitet mir aus der Hand. Ich schreie, obwohl es mir zunehmend schwerer fällt, weil Gesicht, Zunge und Hals immer dicker werden.
    »Cassie!«, krächze ich. »Wie konntest du das nur tun?«
    Ich weiß, dass es vergeblich ist. Sie ist bereits fort. Ich versuche es mit einem Hilferuf, diesmal, um Nachbarn auf mich aufmerksam zu mache, doch ich bekomme kaum noch Luft und ich bringe nicht viel mehr als ein geflüstertes »Huff« heraus.
    Mit dem Wissen, dass es nicht mehr lange dauern wird, gebe ich schließlich auf.
    Sekunden später ist meine Kehle komplett zu.
    Bevor es für mich an diesem hellen Tag dunkel wird, denke ich noch an Audrey.

Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
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    Ich öffne die Augen, wenn auch nur ein Stück weit.
    Mein Sichtfeld ist eingeschränkt, es ist, als würde ich durch ein eigentümliches Fernglas schauen, eines, das wie ein O geformt ist. Ich merke, wie sich etwas bewegt und muss den Kopf drehen, weil ich außerhalb der zentralen Zone nichts sehe.
    Mason sitzt neben mir an meinem Krankenhausbett.
    Ich blinzele ihm zu und er nimmt lächelnd meine linke Hand in seine. Sie fühlt sich komisch an. Nicht taub, aber ... fremd. Ich blicke an meinen Armen hinab: Sie sind aufgequollen, als hätte man sie aufgepumpt, rot und fleckig. Mein linker Arm hängt an einem Tropf. Verwundert frage ich mich, wie sie durch meine Marshmallow-Haut hindurch überhaupt eine Vene gefunden haben. Um zu wissen, dass mein Gesicht genauso aussieht, muss ich gar nicht in den Spiegel schauen. Instinktiv taste ich nach meiner geschwollenen Wange.
    Masons Augen glänzen und er blinzelt, als müsse er gegen Tränen kämpfen.
    »Hi Daisy«, begrüßt er mich liebevoll. Ich versuche die Augen zusammenzukneifen, um so scharf wie möglich sehen zu können. »Du bist im Krankenhaus«, erklärt er mir. »Es ist alles in Ordnung. Du bist in Sicherheit.«
    Ich lasse seine Hand los, um über eine juckende Stelle auf der Stirn zu reiben. Wohlweislich benutze ich nicht die Fingernägel, um Narben zu vermeiden. Während ich eine weitere Stelle auf dem rechten Arm reibe, betritt eine Krankenschwester den Raum, um nach mir zu sehen. Sie geht ein wenig vorgebeugt, als würde sie imnächsten Moment vornüberfallen. Ihre kurze Punkfrisur ist wasserstoffblond gefärbt, obwohl sie dem Alter nach
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