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Die fünf Leben der Daisy West

Die fünf Leben der Daisy West

Titel: Die fünf Leben der Daisy West
Autoren: Cat Patrick
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lang.«
    Unterwegs sprechen Audrey und ich über unsere Vorliebe für praktische und dennoch coole Schuhe. Sie schwärmt von einem neuen Paar Turnschuhe, die man nicht schnüren muss und ich fasele etwas über die Unterschiede zwischen spitzen und runden Ballerinas. Ein wenig fühle ich mich an die entspannten Gespräche mit Megan erinnert und bin ehrlich enttäuscht, als wir viel zu schnell vor meinem Klassenraum stehen.
    »Hast du Lust, heute Mittag mit mir in der Stadt zu essen?«, fragt Audrey.
    »Ich ...«, beginne ich zögerlich. So viel Aufmerksamkeit von jemandem, der sich wahrscheinlich vor Freunden nicht retten kann, überfordert mich. Plötzlich kann ich Cassies Verfolgungswahn nachvollziehen und beäuge Audrey misstrauisch. »Ähm ...«
    »Kein Problem, wenn du schon etwas anderes vorhast«, schiebt sie hinterher und lässt sich die Enttäuschung kaum anmerken. »Ich dachte nur, weil du neu bist und ...«
    »Nein«, sage ich schnell und schüttele meine Wahnvorstellungen ab. »Ich habe nichts anderes vor. Gern. Sollen wir uns vor den Schließfächern treffen?«
    Audrey strahlt. »Prima. Also, bis dahin!«
    Mr Jefferson begrüßt mich und reicht mir ein Buch, das nach Suppe riecht, sowie einen auf gelbem Papier gedruckten Lehrplan. Dann führt er mich zu einem Tisch auf der Fensterseite. Ich lächele eine Mitschülerin an, die mich unverhohlen beobachtet, worauf sie den Blick sofort abwendet. Zufrieden über den Fensterplatz, lasse ich mich auf dem Stuhl nieder, der von der Morgensonne erwärmt ist. Ich hole Block und Stift aus der Tasche und beginne den Lehrplan zu lesen, während sich der Klassenraum langsam füllt.
    Als Mr Jefferson aufsteht, nach vorn geht und sich einige Male räuspert, lege ich den Lehrplan beiseite und lasse den Blick durch den Raum schweifen. Beruhigt stelle ich fest, dass niemand allzu Beängstigendes dabei ist.
    Das Klingeln lässt mich zusammenfahren. Es ist ganz anders als in Frozen Hills. Hier hört es sich an wie der tiefste Ton in einem Hörtest. Sobald es verstummt ist, setze ich mich ein wenig aufrechter hin und nehme den Stift in die Hand, um mir Notizen zu machen. Nachdem Mr Jefferson sich abermals geräuspert hat – ich beginne mich zu fragen, ob er vielleicht erkältet ist –, öffnet er den Mund, um zu sprechen.
    In dem Moment stürmt ein Junge in den Raum und lässt sich auf einen Platz nahe der Tür fallen. Neugierig mustere ich ihn, bis Mr Jefferson sich einmal mehr räuspert. Vielleicht kann er nicht anders. Ich schaue in Richtung des Lehrers, der dem Jungen einen bösen Blick zuwirft, aber nichts sagt.
    Stattdessen stellt er mich vor.
    »Wir haben eine neue Schülerin«, sagt er und deutet auf mich. Wie Dominosteine, die sich gegenseitig umstoßen, dreht sich ein Kopf nach dem anderen zu mir um. Mr Jefferson fährt fort: »Das ist Daisy West. Sie hat vorher in Michigan gewohnt. Bitte heißt sie mit mir herzlich willkommen.«
    Einige murmeln ein leises »Hi«, eine Handvoll Schüler lächelt oder winkt. Ich lächele ebenfalls höflich und warte darauf, dass sie sich wieder von mir abwenden. Kurze Zeit später räuspert sich MrJefferson zum gefühlt hundertsten Mal und beginnt mit dem Unterricht. Die Dominosteine machen ihre Bewegung rückgängig und ich atme erleichtert auf.
    Dennoch habe ich das Gefühl, nach wie vor beobachtet zu werden.
    Nervös schaue ich mich im Klassenraum um. In meiner Reihe und auch in der nächsten haben alle den Blick auf Mr Jefferson gerichtet. Doch dann bemerke ich, dass der Typ, der zu spät gekommen ist, mich von seinem Platz an der Tür aus beobachtet. Und erst in dem Moment fällt mir auf, was mir vorher total entgangen war, nämlich dass er unglaublich megascharf ist.
    Lässig streicht er sich mit dem Daumen eine Strähne aus dem Gesicht. Hinter den Ohren stehen seine Haare auf diese absolut unwiderstehliche Art und Weise wild hervor, dass man nicht weiß, ob er zum Friseur müsste oder gerade dort war. Er hat dunkle Brauen – so wie sexy Bösewichte in Filmen – und mandelförmige braune Augen, deren Ausdruck ich nicht recht zu deuten weiß. Locker fläzt er sich in seinem verwaschenen grünen T-Shirt und der abgetragenen Jeans auf dem Stuhl und lächelt mich mit einem Lächeln an, das fast ... vertraut wirkt. Als er sich schließlich dem Lehrer zuwendet, fühle ich mich, wie gerade von Wolke Sieben gestürzt.
    Für den Rest der Stunde schaue ich immer wieder zu ihm, er aber nicht mehr zu mir. Nach dem Klingeln packe ich
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