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Die Früchte der Unsterblichkeit

Die Früchte der Unsterblichkeit

Titel: Die Früchte der Unsterblichkeit
Autoren: Ilona Andrews
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vielmals entschuldigen. Er wird gerade von etwas in Anspruch genommen, das keinen Aufschub duldet, aber er hat mich beauftragt, Sie zu ihm zu führen. Ich möchte Ihnen keine Umstände machen, aber leider muss ich Sie bitten, Ihre Schusswaffen vorne am Tresen abzugeben.«
    Ich wollte meine Kanonen ganz dringend bei mir behalten. »Warum?«
    »Im Inneren befinden sich viele empfindliche und zum Teil unersetzliche Gerätschaften. Bisweilen löst die Anwesenheit der Vampire bei unseren Gästen Unbehagen und Angst aus, besonders wenn sie die Stallungen besuchen.«
    »Warum nur?«, sagte Raphael.
    »Es ist schon vorgekommen, dass sich versehentlich ein Schuss gelöst hat. Wir bitten Sie nicht, Ihre Klingen auszuhändigen, nur die Schusswaffen. Ich fürchte, wir können keine Ausnahme machen. Ich bitte vielmals um Entschuldigung.«
    »Schon okay«, sagte ich und legte meine beiden SIG Sauer 9mm auf den Tresen. Ohne meine Waffen fühlte ich mich irgendwie nackt.
    »Vielen Dank. Wenn Sie mir jetzt bitte folgen wollen.«
    Das Wesen geleitete uns einen prunkvollen Korridor entlang zu einer Treppe, die uns tiefer und tiefer hinabführte, wo kein Sonnenstrahl mehr hineindrang und die Wände nur noch von fahlem künstlichem Licht erhellt wurden. Geradezu unheimlich lautlos kroch der Vampir auf allen vieren durch das düstere Labyrinth. Ein verwinkelter Gang folgte dem nächsten und nur gelegentlich tauchten im schwachen Schein einer Glühbirne dunkle, handbreite Öffnungen in den niedrigen Decken auf.
    »Lebt hier etwa auch ein Minotaurus?«, knurrte Raphael.
    »Das Labyrinth ist eine reine Vorsichtsmaßnahme, um etwaige Ausbrecher in Schach zu halten«, erklang die Stimme der Navigatorin aus dem Vampirmaul. »Ungelenkte Vampire lassen sich von ihrem Instinkt leiten. Sie besitzen nicht die kognitiven Fähigkeiten, um aus diesem Tunnelsystem hinauszugelangen. Im Fall eines Massenausbruchs dient das Labyrinth als Pufferzone. In der Decke sind überall schwere Eisengitter eingelassen, die herunterfahren und so die Vampire in kleine, leicht zu kontrollierende Gruppen trennen. Damit begrenzen wir den Schaden, der entstünde, wenn sie sich durch die Blutlust gegenseitig zerfleischten.«
    »Wie oft kommt es denn zu solchen Ausbrüchen?«, fragte ich. Der Gestank der Untoten war mittlerweile schon fast unerträglich geworden.
    »Nie. Hier entlang, bitte.« Der Vampir huschte auf einen hell beleuchteten Eingang zu. »Vorsicht, Stufen.«
    Über eine kurze Treppe gelangten wir in ein großes Gewölbe. Ein langer, schmaler Gang zog sich durch die Mitte des Raumes, begrenzt wurde er zu beiden Seiten von Gefängniszellen. In jeder dieser vier Quadratmeter großen Zellen hockte ein einzelner Vampir, der am Hals an der Mauer festgekettet war. Die Ketten selbst waren dicker als mein Oberschenkel. In den Augen der Vampire brannte unstillbare Blutgier. Sie gaben keinen Laut von sich, machten überhaupt kein Geräusch, starrten uns nur an und zogen gegen die Ketten, als wir vorbeigingen. Jedes einzelne Haar in meinem Nacken sträubte sich. In mir ballte sich mein geheimes Ich zu einem Klumpen zusammen, erwiderte den Blick, bereit, bei der geringsten Gelegenheit loszuschlagen.
    Der Gang endete an einem runden Podium, von dem strahlenförmig kleinere Korridore abgingen. Mitten auf dem Podium stand Ghastek. Er war nicht sonderlich groß und von schlanker Gestalt. Der Ansatz seines hellbraunen Haares war schon etwas nach hinten gewandert, wodurch seine dunklen, durchdringenden Augen besonders hervorstachen. Von den maßgeschneiderten Hosen bis zu dem offen stehenden Hemd, dessen Ärmel fein säuberlich hochgekrempelt waren, war alles an ihm schwarz. Doch während die Farbe Schwarz bei Raphael Gefahr und Härte signalisierte, vermittelte sie bei Ghastek eher den Eindruck eines lockeren und lässig-eleganten Kleidungsstils. Es war eher eine Abwesenheit von Farbe als die Verkündung einer bestimmten Geisteshaltung.
    Ghastek warf uns einen flüchtigen Blick zu, grüßte mit einem kurzen Kopfnicken und widmete sich wieder den drei jungen Personen, die neben einem Kontrollpult standen. Sie trugen identische schwarze Hosen, graue Hemden und Westen in einem dunklen Lila. Gesellen, Herren der Toten in der Ausbildung. Einer der drei, ein hochgewachsener junger Mann mit rotem Haar, stand stocksteif da, die Hände zu Fäusten geballt. Den Blick hatte er starr geradeaus auf eine Zelle gerichtet, in der ein Vampir an einer gespannten Kette saß.
    Ghastek nickte.
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