Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Friesenrose

Die Friesenrose

Titel: Die Friesenrose
Autoren: Jutta Oltmanns
Vom Netzwerk:
schmerzhaft das Gesicht. „Ach, wie schade. Ich dachte, du hättest es für mich getan. Dass es mir vielleicht gelungen wäre, dein Interesse an meiner Person zu wecken, und du deshalb ...“ Er sprach den Satz nicht zu Ende, sondern blickte sie nur bedeutungsvoll an.
    Inken schnappte vor Empörung nach Luft. Diese maßlose Selbstüberschätzung war wirklich der Gipfel, und so beschloss sie, Cirks letzten Satz einfach zu ignorieren.
    „Ich habe es nicht nur für Hugues getan, sondern auch für mich. Glauben Sie, ich renne in dieser Kluft durch Emden, weil es mir Spaß macht? Nicht nur Sie werden gesucht, da kam mir die Idee mit den zwei Brüdern gerade recht.“
    „Wirklich schade. Mir bricht das Herz.“ Cirk seufzte dramatisch. „Kein Schäferstündchen also. Nun gut, dann werde ich jetzt wohl ohne Gruß und Kuss von dir gehen müssen und mir ein Versteck suchen.“
    Cirk griff nach dem Krug Bier auf dem Tisch und leerte ihn in einem Zug. Dann zog er den Pass aus seiner Brusttasche und wog ihn in der Hand.
    „So leicht, und hat doch meinen Kopf gerettet. Dafür bin ich dir etwas schuldig. Wenn du schon kein Interesse an mir hast, dann vielleicht doch an dem hier.“ Cirk löste einen Beutel von seinem Gurt und hielt ihn Inken hin.
    „Ich bin nicht käuflich“, schüttelte sie den Kopf.
    „Aber ich! Und so viel ist mir mein Leben allemal wert. Es ist genau die Summe, die auf meinen Kopf ausgesetzt ist. Du hast sie dir verdient. Hier, nimm das Geld.“
    Und bevor Inken etwas entgegnen konnte, warf ihr Cirk den Beutel auch schon zu.
    „Kauf dir zumindest ein ordentliches Kleid dafür! Und, wenn du es nicht bar mit dir herumtragen möchtest auf deiner Reise ins Moor, gibt es immer noch Tjalda, die Geldverleiherin. Sie ist eine ehrliche Haut und zahlt einen guten Zins.“
    Mit dem Zeigefinger hob Cirk ihr Kinn an. Diesmal lag kein Schalk in seinen Augen, sondern etwas anderes, etwas Fragendes, Suchendes. Und wieder wollte es Inken nicht gelingen,den Blick von ihm zu lösen. Schließlich fuhr Cirk ganz sacht mit dem Zeigefinger über ihre Wange, lächelte gleich darauf aber schon wieder spöttisch.
    „Ich muss jetzt leider gehen und mir ein Versteck suchen. Möchtest du vielleicht mit mir in meine Räuberhöhle kommen?“ Seine Frage brachte Inken dazu, ruckartig von ihm wegzurücken.
    Lachend erhob sich der Schmuggler und schritt zur Tür, ohne sich noch einmal nach ihr umzuschauen, während Inken ihm wider Willen mit einem sonderbaren Gefühl nachblickte. Obwohl seine Überheblichkeit sie zur Weißglut brachte, durchzuckte sie für einen Augenblick der Gedanke, was wohl geschehen wäre, wenn sie nicht das Geld, sondern den Vorschlag des Mannes angenommen hätte. Bedauern durchflutete sie und der Wunsch, ihn zurückzuhalten. Dann riss sie sich jedoch zusammen und schüttelte über sich selbst den Kopf. Was war nur los mit ihr – das war sicherlich die Schuld des Rums! Ob frische Luft ihr den Kopf wieder aufklaren würde? Entschlossen steckte Inken die Geldbörse in die Tasche und verließ den Schankraum.
    Draußen hatten sich Wolken vor den vollen Mond geschoben, doch im Schein der Laterne konnte sie schemenhaft eine große Kastanie ausmachen. Seufzend lehnte sie sich mit geschlossenen Augen gegen den Stamm und atmete tief durch. Abgesehen von den Geräuschen aus der Kneipe herrschte völlige Stille. Der Geruch des Geißblatts stieg ihr in die Nase und erinnerte Inken schmerzlich an Borkum, wo dieser Duft in Sommernächten allgegenwärtig war. Wie sehr sie die Insel vermisste, die Insel und ihren Vater! Bilder stiegen in ihr hoch, Bilder von Abenden, die sie mit ihm zusammen am Meer verbracht hatte, und von Wellen im silbrigen Mondlicht.
    „Die Wellen sind wie das Schicksal“, hörte sie ihren Vatersagen. „Sie rollen über deine Sandburg hinweg, und die Flut nimmt all deine Träume mit sich. Dann aber tragen die Wellen auch wieder unverhofft Neues an Land, Holz vielleicht, und du kannst daraus ein Haus bauen. Sei niemals ängstlich! Alle Schicksalsschläge halten auch neue Möglichkeiten bereit. Und sollte mein Kahn an einem Riff zerbersten, so würde ich aus seinen Trümmern ein neues Schiff bauen!“
    Wo mochte ihr Vater jetzt nur sein? Ob er an sie dachte? Ob er überhaupt noch denken konnte?
    Inken ballte ihre Hände zu Fäusten. Der Kloß in ihrem Hals wuchs. Selbstmitleid stieg in ihr hoch und umhüllte sie wie der schwere Duft des Geißblatts. Was um alles in der Welt tat sie hier eigentlich, eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher