Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau ohne Gesicht

Die Frau ohne Gesicht

Titel: Die Frau ohne Gesicht
Autoren: Pekka Hiltunen
Vom Netzwerk:
feierten an diesem Abend ihren achtundzwanzigsten Geburtstag? Lia versuchte sich die Orte vorzustellen, an denen diese Feste stattfanden. Das kühle Helsinki und Länder, in denen sie nie gewesen war. Wie wäre ihre Geburtstagsfeier in Australien ausgefallen? Oder in Mexiko?
    Eine dunkelhaarige Frau in einem schwarzen, schmalen Kleid stellte sich neben sie an die Theke. Sie war ungefähr im gleichen Alter wie Lia und machte einen selbstsicheren Eindruck. Sie lächelte Lia an, und Lia lächelte zurück.
    Die Frau beugte sich zu ihr, um etwas zu sagen, und was sie sagte, ließ Lia erstarren. Nicht wegen der Worte, sondern wegen der Sprache.
    »Herzlichen Glückwunsch, Geburtstagskind«, sagte die Frau auf Finnisch.
    Das wirkte im Lärm eines englischen Pubs so seltsam, dass Lia unwillkürlich auflachte. Sie hatte seit einer Ewigkeit kein Finnisch mehr gehört – nicht ein einziges Mal, seitdem sie zuletzt mit ihren Eltern telefoniert hatte. Es war, als hätte die Frau eine Geheimsprache gesprochen, die nur sie beide verstanden.
    »Danke«, antwortete Lia.
    Die finnische Sprache. Ihre offenen Vokale und starken Konsonanten. Sie klang kräftig und direkt, eine Sprache, die nicht an diesen Ort gehörte. Und eigentlich auch an keinen anderen.
    Die Frau sagte, sie heiße Mari.
    Auch Lia stellte sich vor, und sie gaben sich die Hand. Die beschwipste Lia fand das Zeremoniell sehr förmlich und ausgesprochen witzig.
    »Woher weißt du, dass ich Geburtstag habe?«, fragte sie.
    »Ich habe in der Nähe gesessen und gehört, worüber ihr gesprochen habt.«
    »Du hast uns also den ganzen Abend über belauscht«, meinte Lia belustigt.
    »Unter anderem euch«, antwortete Mari.
    Sie erzählte, sie sei vor etwa fünf Jahren nach London gezogen, ein Jahr später also als Lia selbst. Und da man finnischen Landsfrauen im fernen England nur selten über den Weg lief, lud sie Mari kurz entschlossen ein, mit ihnen gemeinsam weiter zu feiern.
    »Jungs, könnt ihr euch benehmen, wenn diese Dame sich zu uns setzt?«
    »Ach Lia, für dich tun wir alles.«
    Eine neue Runde wurde serviert. Lia sagte, Mari komme auch aus Finnland. Mehr war nicht nötig. Und nun, da Mari Teil der Gruppe war, war es, als hätte der Abend von neuem begonnen. Lia gönnte ihren Kollegen die Freude über diese hinreißende Frau, die es wahrlich verstand, eine kluge Unterhaltung zu führen. Alles schien sie ihnen leichterhand zu entlocken, brachte, je nach Laune, mal den Gentleman, mal den hitzigen Teenager in ihnen zum Vorschein. Und genoss sichtlich, wie unermüdlich sie die Männer mit ihren Fragen bombardierten, wenn sie sie nicht gerade mit ihren vom Bier glasigen Blicken verschlangen.
    Lia beobachtete die lärmende Schar.
    Meine dummen Ritter.
    Die fünf, allesamt Journalisten, verfügten über eine verblüffend große Menge an Wissen in den Bereichen Politik, Sport, Hochkultur und Showbusiness. Auch deshalb waren sie von Mari fasziniert, denn sie wusste erstaunlicherweise wirklich über alle aktuellen Themen Bescheid, die zur Sprache kamen. Durch den Kneipenlärm hindurch hörte Lia, dass Mari von ihrer Arbeit erzählte, sie schnappte die Worte »Versicherungsgesellschaft« und »Personalchefin« auf. Die Männer fragten nicht genauer nach. Anders war dies, als es um Maris politische Einschätzungen ging, von denen die fünf offensichtlich schwer beeindruckt waren.
    »Zum Teufel, Lia, deine finnische Freundin kennt sich in der britischen Kommunalpolitik besser aus als ich«, schwärmte Sam.
    Timothy Phelps, der Politikredakteur, testete Mari, wie er es mit jeder neuen Bekanntschaft tat, indem er sie in eine Diskussion verwickelte. Als Thema wählte er den Tory-Politiker Brian Pensley, der in letzter Zeit häufig in den Nachrichten aufgetaucht war, aus.
    »Pensley hat ein Problem. Wann immer er spricht, erinnern sich alle nur an die miserable Gesundheitsreform der Tories. An deren Scheitern wird er noch lange zu tragen haben«, dozierte er.
    Mari schüttelte den Kopf.
    »Pensleys Problem ist, meiner Meinung nach, sein unsicheres Auftreten. Er spricht keine einzige Wählergruppe an. Wahrscheinlich wäre er gar nicht Geschäftsführer geworden, wenn ihn David Cameron als Parteivorsitzender nicht aus irgendeinem Grund auf den Posten gehievt hätte«, sagte sie.
    »Pensley ist schon in die Parteiführung aufgestiegen, bevor Cameron gewählt wurde«, korrigierte Timothy sofort.
    »Stimmt nicht«, widersprach Mari und präzisierte: »Cameron hat den Parteivorsitz 2005 ,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher