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Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition)

Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition)

Titel: Die Frau, die nicht lieben wollte und andere wahre Geschichten über das Unbewusste (German Edition)
Autoren: Stephen Grosz
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keinen Supermarkt mehr geben würde, in dem man Fisch kaufen könne.«
    Mein Patient fühlt sich diesem Mann sehr nahe. Der Vater gibt all sein Gespartes für den Schutz der Familie aus. Er möchte sich sicher fühlen. »Das ist verrückt, der Kerl ist verrückt – aber ich kann ihn verstehen.« Mein Patient vertraut mir an, dass er fürchtet, wie dieser Vater zu sein und sich ständig auf irgendeine Katastrophe vorzubereiten.
    Ich höre, wie er noch einen Schluck Tee nimmt. »Ich bin genauso verrückt, denke ständig an mein Haus in Frankreich«, sagt er. »Davon habe ich Ihnen noch nie erzählt.«
    Als Erstes gibt er mir zu verstehen, dass es sich dabei um kein großartiges Anwesen handelt – eigentlich ist es sogar nur ein Bauernhaus inmitten von Wald und Wiesen. Es strahlt jene tiefe Stille aus, wie man sie auch in Schottlands Wäldern findet – das genaue Gegenteil von London. Es gibt keinen Lärm, nichts, was stört. Und er braucht auch nicht auf die großen Bankiershäuser seiner Nachbarn zu schauen.
    Vor wenigen Wochen erhielt er übrigens ein Schreiben von der Stadt London, in dem es um seine Nachbarn ging, die ihr bereits vulgäres, völlig überdimensioniertes Wohnhaus noch weiter ausbauen wollen. Er war so wütend, dass er nicht einmal den Gedanken daran ertrug. Natürlich hätte er der Stadt schreiben und sich beschweren sollen, »aber ich war dazu einfach nicht in der Lage. Meine Frau musste das übernehmen. Ich konnte nur an unser Haus in Frankreich denken – das hat mich beruhigt.«
    Und dann gibt es Momente – wie erst vor wenigen Minuten, als seine Frau das Hotelzimmer kurz vor Beginn der Sitzung verließ – Momente, in denen er allein ist und sich ausmalt, in seinem Haus in Frankreich zu sein. »Noch bleibt Zeit bis zum Anruf, ein Zeitloch, eine Lücke, und dann weiß ich nur noch, dass ich fort bin – verloren in meinem verrückten Bau.«
    Ich frage ihn, was er mit verrückt meint.
    Er sagt, verrückt ist für ihn das ewige Verbessern und Umräumen. Er denkt ans Dekorieren, ans Umbauen – Zimmer, Türen, Fenster werden hinzugefügt. »Wie wäre die Aussicht, wenn ich diese Zimmerwände umstelle, das Haus um sich selbst drehe oder es auf die Kuppe eines nahen Hügels versetze? Solche Sachen male ich mir oft aus; und dann ist da noch das Verhandeln.«
    Er sagt, es falle ihm schwer, darüber zu reden – viel schwerer, als sich über seine Depression oder seine Panikattacken auszulassen. Es überrascht ihn auch nicht, dass er mir während einer Telefonsitzung davon erzählt – so ist es leichter, nicht so peinlich.
    Als Anna, seine Frau, an diesem Abend das Zimmer verließ und er auf den Beginn unserer Sitzung wartete, hatte er sich zum Beispiel vorgestellt, sein ganzes Geld auszugeben, um das Haus perfekt zu gestalten. Er wollte auf das Haus in London verzichten und auf seine gesamte Habe, vielleicht sogar auf seine Stellung in der Regierung, dafür aber hätte er dann Folgendes: ein Einkommen von 500 Pfund die Woche und das Haus genauso, wie er es sich wünschte.
    Das Ziel dieser Verhandlungen ist es nicht, am Ende etwas Luxuriöses zu besitzen, ganz im Gegenteil – Freunde würden sich fragen, warum er sich mit einem derart schlichten Haus auf dem französischen Land zufriedengab. Warum verzichtete er auf den gewohnten Komfort? »Wir würden unauffällig leben, bescheiden – würden zu Leuten, die man überhaupt nicht beneidete.«
    Ich höre ihn einen weiteren Schluck nehmen.
    »Es ist mein Safe House, mein sicheres Versteck«, sagt er. Wenn er in irgendwelchen sinnlosen Meetings festsitzt, allein in irgendeinem miserablen Hotel hockt – oder wenn er in London ist und Anna mal eben einkaufen geht – stellt er sich vor, in diesem Haus in Frankreich zu sein, oder er überlegt sich ein paar weitere Veränderungen.
    Ich sage, von Anna getrennt oder abgeschnitten zu sein, mache ihn offenbar nervös und zornig – Trennung verunsichert ihn. Vielleicht denkt er an das Haus in Frankreich, um sein inneres Gleichgewicht zurückzugewinnen.
    Ich höre, wie er noch einen Schluck nimmt und die Tasse wieder auf den Unterteller stellt. »Ich hatte angenommen, Sie würden sagen, dass ich an mein Haus in Frankreich denke, wenn ich meine Wirklichkeit unerträglich finde«, sagte er, »aber es stimmt, Trennung verunsichert mich tatsächlich.«
    Nach dem Studium in Oxford, fuhr er fort, und ehe er nach Harvard ging, hatte er mit Anna einen Sommer in Italien verbracht. Das Herumreisen von
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