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Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Frau des Ratsherrn: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Joël Tan
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unter ihnen betreffen, und eines hatten alle Ratsmänner miteinander gemein – das Streben nach Besitz und Macht!
    »Dor salicheit myner sele …«, begann der Sprecher diesen Teil des Testaments, der im Gegensatz zum Anfang der Ausführungen nun nicht mehr in Latein verfasst war.
    Keiner der beiden edlen Herren hatte nach dem Überbringen der traurigen Nachricht den gesamten Weg lang auch nur das geringste Wort gesprochen. Selbst der wahrlich mitleiderregende Anblick des sterbenden Vaters konnte ihnen keinen einzigen Laut entlocken. Das alles war höchst sonderbar, wie die neugierige Begine fand. Lauernden Blickes wartete sie auf irgendeine Regung.
    Sosehr sich das Verhalten der Ehrenmänner auch glich, rein äußerlich hätten sie kaum unterschiedlicher sein können. Weder das schummrige Licht der Kammer noch ihre lagenreiche Kleidung verdeckte, dass der eine untersetzt und kahl auf dem Kopf war und der andere von hagerer Statur und blass. Letzterer trug einen graumelierten Spitzbart, und sein vogelartiger Blick ging ruckartig durch den Raum; fast so, als ob er drohendes Unheil zu erspähen versuchte.
    Als die Schwester bemerkte, dass sein stechender Blick den ihren kreuzte, kroch ihr ein Schauer über den ganzen Körper. Schnell wandte sie sich wieder ihrer eigentlichen Aufgabe zu, doch auch mit gesenktem Haupt konnte sie erkennen, dass der Vogelgesichtige sich verstohlen die Hände rieb, ohne dabei den Bettlägerigen aus den Augen zu lassen.
    Endlich regte sich auch der andere Mann. Langsam begann er das Bett zu umrunden, die kalten Augen stets auf den Sterbenden gerichtet. Er war einer der herbeigewünschten Söhne.
    Das unablässige Röcheln des Siechen erstarb für einen kurzen Moment. Sein Blick legte sich auf seinen Sohn, und er lächelte. Die sich mühsam nacheinander erhebenden Mundwinkel ließen die eingefallenen Wangen noch zerfurchter aussehen, und die wässrigen kleinen Augen blitzten für einen kurzen Moment auf. Fast hätte man meinen können, dass er mit dem Eintreffen des Sohnes aufhörte, sich gegen das Unabwendbare zu wehren.
    Schier unendlich war die Liste der Legate. Jedes Kloster, jede Kirche, jede Kapelle innerhalb Hamburgs wurde von dem edlen Spender bedacht. Nach einer weiteren Aufzählung ebenfalls Begünstigter, unter denen neben entfernten Verwandten, Armen und Kranken tatsächlich auch ein paar Ratsherren waren, kam der Testamentsvollstrecker endlich zu dem Teil, in dem es um die Vergabe der Güter an die Söhne des dahingeschiedenen Kauf- und Ratsmanns ging. Mittlerweile heiser vom Vorlesen, quälte sich die raue Stimme des Sprechers durch die Zeilen.
    »Meinem Sohn Conrad übertrage ich das Erbe in der Reichenstraße, meine Schiffsanteile von jeweils zweimal einem Achtel und einmal einem Viertel, meinen Pelzmantel und meine Mantelspange, mein Pferd und den Fuhrwagen …«
    Güter über Güter wurden genannt, doch sie flogen einfach an Conrad vorbei. Er konnte es nicht erwarten, das dumme Gesicht seines verhassten Bruders zu sehen, wenn verkündet wurde, was ihm sein törichtes Fehlverhalten vor fast zwei Jahren eingebracht hatte. Während alle Anwesenden mit angespannten Gesichtern den Worten des Testamentsvollstreckers lauschten, schienen einzig Conrad und sein spitzbärtiger Freund sehr gelöst zu sein. Tatsächlich mussten sie sogar an sich halten, um nicht ein wissendes Lächeln aufblitzen zu lassen. Bald schon würden auch alle anderen erfahren, was sie beide bereits wussten.
    Ja, mein Vater war wahrlich ein gerechter Mann gewesen, dachte Conrad grimmig. Zum Glück habe ich ihn gerade noch davon abhalten können, am Ende gar zu gerecht zu sein.
    Der Testamentsvollstrecker machte eine kurze Pause, in der er einen tiefen Schluck aus seinem Becher nahm, um seine trockene Kehle zu befeuchten. Dann fuhr er fort.
    »Meinem Sohn Albert vermache ich das Grundstück im Kirchspiel St. Katharinen auf der Grimm-Insel. Dort soll er ein eigenes Haus für sich und seine Familie bauen. Bis er dieses Haus errichtet hat, erhält er zusätzlich das Recht, weiterhin in dem Familiensitz in der Reichenstraße zu wohnen. Des Weiteren überlasse ich ihm meinen ledernden Prunkgürtel mit den dazugehörigen Messern und der Almosentasche, die eisenbeschlagene Truhe, den Wandteppich aus meinem Kontor …«
    Albert konnte den Worten kaum folgen. Seine Ungeduld wuchs ins Unermessliche. Wann würde der Geistliche nur endlich etwas über das noch nicht verteilte Familienvermögen und vor allem etwas über das
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