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Die Frau des Praesidenten - Roman

Die Frau des Praesidenten - Roman

Titel: Die Frau des Praesidenten - Roman
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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provozieren zu wollen, während wir uns nur dachten: ›Um Himmels willen, es
gibt
doch gar keine Neger in Riley.‹« Das stimmte tatsächlich, in unserer ganzen Stadt lebte nicht ein einziger Schwarzer. Als Kind hatte ich einmal schwarze Menschen gesehen – ich war völlig gebannt, als wir an einem Restaurant vorbeifuhren, vor dem eine Mutter, ein Vater und zwei kleine Mädchen meines Alters in rosa Kleidchen standen –, doch das war in Milwaukee gewesen.
    »Magst
du
sie nicht?«, fragte ich.
    »Oh, doch. Natürlich. Nein. Sie ist eine schwierige Person, aber das heißt nicht, dass ich sie nicht mag, und Daddy geht es wohl ähnlich. Wir haben einfach alle zusammen festgestellt,dass es unkomplizierter ist, wenn Granny zu Dr. Wycomb fährt, als umgekehrt.« Meine Mutter tätschelte mein Knie. »Aber ich freue mich, dass sie Freundinnen sind. Dr. Wycomb war deiner Granny ein großer Trost, als dein Großvater starb.« Damals war mein Vater zwei gewesen. Sein Vater, ein Apotheker, hatte eines Nachmittags beim Arbeiten einen Herzinfarkt erlitten und war im Alter von dreiunddreißig Jahren einfach tot umgefallen. Allein der Gedanke an meinen Vater als zweijährigen Jungen schmerzte mich, aber die Vorstellung von ihm als Zweijährigem mit einem toten Vater war geradezu niederschmetternd.
    Meine Mutter stand auf und gab mir einen weiteren Kuss auf die Stirn. »Bleib nicht zu lange auf.«
     
    Zwar war als Grund für unsere Reise nach Chicago die Erweiterung meines kulturellen Horizonts angeführt worden, doch der Zug hatte kaum den Bahnhof von Riley verlassen, da stellte sich heraus, dass die eigentliche Absicht meiner Großmutter eine andere war: Sie wollte sich bei Marshall Field’s eine Zobelstola kaufen. Wie sie mir nun anvertraute, hatte sie eine Werbung dafür in der
Vogue
gesehen und einen Brief an das Geschäft geschrieben mit der Bitte, ihr ein Exemplar zurückzulegen.
    »Wäre ich pfiffiger gewesen, hätte ich sie einen Monat früher bestellt und an Weihnachten in der Kirche getragen«, sagte sie.
    »Weiß Dad davon?«
    »Das wird er, wenn er mich darin sieht. Und ich werde derart hinreißend aussehen, dass er mit Sicherheit begeistert sein wird.« Wir saßen nebeneinander, und sie zwinkerte mir zu. »Ich habe ein paar Ersparnisse, Alice, und es ist kein Verbrechen, sich etwas zu gönnen. Jetzt lass mich dir etwas Lippenstift auftragen.«
    Ich spitzte die Lippen. Nachdem sie fertig war, hob sie mein Kinn und begutachtete mich. »Perfekt«, sagte sie. »Du wirst das schönste Mädchen in ganz Chicago sein.« Ich selbst betrachtete mich nicht gerade als schön, doch im Laufe dervergangenen Jahre hatte ich es nach und nach in Erwägung gezogen, dass ich hübsch sein könnte. Ich war ein Meter achtundsechzig groß, hatte eine schmale Taille und genug Busen, um ein B-Körbchen auszufüllen. Meine Augen waren blau, meine kinnlangen Haare kastanienbraun, glänzend und zu den Wangen hin eingedreht, außerdem trug ich einen Pony. Hübsch zu sein empfand ich, mehr als alles andere, als sehr beruhigend – das Leben unattraktiver Mädchen stellte ich mir schwierig vor.
    Unsere Zugfahrt dauerte gerade mal etwas mehr als zwei Stunden. An der Union Station in Chicago empfing uns eine Frau, die ich zunächst nicht als Dr. Wycomb erkannte; bizarrerweise hatte ich wohl angenommen, sie würde ein Stethoskop um den Hals tragen. Nachdem meine Großmutter sich aus ihrer Umarmung gelöst hatte, stellte sie sich neben Dr. Wycomb, legte ihr einen Arm auf den Rücken und sagte: »Eine Legende ihrer Zeit«, worauf Dr. Wycomb zurückgab: »Wohl kaum. Wollen wir etwas trinken gehen?«
    Sie schienen mir zwei ungleiche Freundinnen, zumindest was ihr Äußeres anbetraf: Dr. Wycombs leicht stämmige Figur ließ Kraft erahnen – ihr Händedruck jedenfalls hatte beinahe wehgetan. Sie trug ihre grauen Haare kurz, eine weiße Brille in Katzenaugenform und einen schwarzen Gabardinemantel über einem grauen Tweed-Kostüm. Ihre flachen Schuhe waren aus schwarzem Lackleder, die Schleifen nachlässig gebunden. Meine Großmutter hingegen, die stets stolz auf ihren Schick und ihre schmale Figur war (vor allem auf ihre schlanken Hand- und Fußgelenke), war für unseren Besuch in der Großstadt besonders herausgeputzt. Bei Vera’s in der Innenstadt von Riley hatte sie sich die Haare färben und legen lassen, und am Tag zuvor hatten wir uns gegenseitig die Fingernägel manikürt. Unter einem lohfarbenen Kaschmirmantel trug sie ein schokoladenbraunes
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