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Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers

Titel: Die Frau des Apothekers - Sandmann, C: Frau des Apothekers
Autoren: Charlotte Sandmann
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Totenbett seiner Eltern weggeholt
     hatte. Seltsam, sogar der Geruch war derselbe – ein Geruch nach ausgetretenen Schuhen, Desinfektionsmittel und billigem Essen.
     Und obwohl sie eine verheiratete Frau gewesen war, hatte sie sich innerlich und äußerlich noch nicht weit von diesem einstmals
     fröhlichen Kind entfernt, das zu früh erwachsen werden musste und jetzt aufs Neue einen steinigen Weg zurückzulegen hatte.
     Trotz ihrer achtzehn Jahre wirkte ihr weiches, glattes Gesicht unausgereift, eine leere Leinwand, auf der das Leben noch keine
     Spuren hinterlassen hatte. Allerdings wäre auch ein markanteres Gesicht ins Hintertreffen geraten angesichts der Aureole von
     üppigem, weich und flauschig fallendem Haar, die es umrahmte und in allen Schattierungen vom leuchtenden Kupfer bis zum tiefen
     Tizianrot schimmerte. Feine orangefarbene Sommersprossen tüpfelten ihren Nasenrücken, unbekümmert um saure Milch, Zitronensaft,
     Essig und all die anderen Essenzen, die zu ihrer Bekämpfung aufgewandt wurden.
    Louise barg das Gesicht in den Händen und weinte bitterlich.

3
    Die Gefangene zuckte heftig zusammen, als ein Schlüssel im Schloss rasselte. Der Atem stockte ihr, ein eiserner Ring schien
     ihre Brust zu umklammern, und die eben noch geordneten Gedanken rannten wie ein aufgeschrecktes RudelMäuse in ihrem Kopf herum. Sie sprang hoch und wich an die Wand zurück, voll Angst, es könnte Trattenbach sein, der sie von
     Neuem bedrängen wollte. Es war jedoch ein unbekannter Mann mit einer Frisur, die aussah wie ein Toupet, einem sandfarbenen
     Schnauzer und blauen Augen unter schweren, geschwollenen Lidern. Eine Wolke von beißendem Tabakdunst umschwebte ihn.
    Er bedeutete ihr, sich auf die Pritsche zu setzen, nahm selbst auf einem der beiden Stühle Platz und zog einen Schreibblock
     heraus, auf dem er im Folgenden stenografische Notizen machte.
    »Ich bin Kriminalpolizeiinspektor Ludwig Gützlow, Frau Paquin, und jetzt für den Fall Ihres Gatten zuständig. Ihre Angelegenheit
     wurde an eine höhere Stelle weitergeleitet.«
    Sie atmete zitternd ein. »Dann hat Polizeiinspektor Trattenbach nichts mehr damit zu tun?«
    »Warum? Haben Sie Angst vor ihm?«
    Louise blickte zu Boden. Sie brachte es nicht zustande, mit Nein zu antworten. Eine so grobe Lüge hätte er zweifellos durchschaut.
     Aber sie wagte auch nicht, ihn anzuklagen. All diese Polizisten hielten vermutlich zusammen wie Pech und Schwefel, und sie
     mochte ihr Schicksal noch verschlimmern, wenn sie einen von ihnen anschwärzte.
    Der Inspektor fragte nicht weiter, machte sich aber eine Notiz. Dann fuhr er fort. »Kennen Sie das Testament Ihres Gatten?«
    Sie zögerte unsicher. »Nicht in Einzelheiten. Nun, Raoul rechnete natürlich damit, dass ich ihn überleben würde, und wollte
     mich ausreichend versorgt wissen. Ich bin seine Haupterbin. Aber in letzter Zeit drohte er oft damit, uns alle zu enterben.«
    »Liebten Sie Ihren Mann?«
    Louise warf ihm einen müden Blick zu. »Liebe, was ist schon Liebe? Er war gut zu mir, und ich gab mir große Mühe, gut zu ihm
     zu sein.«
    »Haben Sie Herrn Paquin seinerzeit freiwillig geheiratet?«
    Sie gab unbefangen zu, dass dem nicht so war. »Nein. Mein Vormund drängte mich dazu. Sehen Sie, ich bin Waise. Meine Eltern
     fielen der Cholera-Epidemie 1892 zum Opfer. Ich wurde mit sechzehn Jahren verheiratet, ohne dass mein Vormund mich nach meinen
     Wünschen gefragt hätte. Er stellte mich einfach vor die Wahl, entweder Herrn Paquin zu heiraten oder auf die Straße gesetzt
     zu werden, da das Waisenhaus keine Kinder über sechzehn Jahre behielt. Ich war damals zu kindisch und zu ängstlich, um mich
     dagegen zu wehren.«
    »Wie hat er Sie eigentlich kennengelernt?«
    »Raoul unterstützte mehrere Findelhäuser, Waisenheime und andere wohltätige Institutionen. Er bemühte sich darum, die Wunden,
     die die Cholera Hamburg geschlagen hatte, zu heilen, und kümmerte sich neben vorbeugenden Maßnahmen vor allem um jene Kinder,
     die ihre Eltern durch die Seuche verloren hatten. Eine dieser Waisen war ich. Er sah mich bei seinem Besuch in der Anstalt
     und verliebte sich auf der Stelle in mich. Er kontaktierte meinen Vormund, zwei Tage später bat er mich zu einem Gespräch
     in die Direktionskanzlei, und dann war ich auch schon Madame Paquin.«
    »So sind Sie also mit viel Groll im Herzen in die Ehe gegangen?«
    »Ja, durchaus. Aber Raoul war gütig zu mir.« Sie lächelte wehmütig bei der Erinnerung. Erst hatte
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