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Die Frau aus dem Meer

Die Frau aus dem Meer

Titel: Die Frau aus dem Meer
Autoren: Andrea Camilleri
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wohnten da zu sechst, und wie kann man zu so vielen in einem Entwurf wohnen?
    «Das ist nicht entworfen, das ist ganz aus Stein, Holz und Mörtel gebaut, und ich selbst war’s, der das alles gemacht hat.»
    Der Amerikaner sah ihn voller Bewunderung an.
    «Habt Ihr etwa Architektur studiert?»
    «Was ist denn das schon wieder, ‹Architektur›?»
    «Na, sagen wir mal, das ist die Kunst, Häuser zu bauen.»
    «So was habe ich nie studiert.»
    Jetzt blickte der Mann ihn mit noch größerer Bewunderung an.
    «Und wie seid Ihr auf den Gedanken gekommen, es so zu bauen?»
    Bevor Gnazio antwortete, dachte er einen Augenblick nach.
    «Ich hab’s so gebaut, weil so alles logischer ist, ich musste mir nur ein bisschen darüber klarwerden.»
    «Wollt Ihr damit sagen, Ihr hättet dieses Haus gebaut, indem Ihr einer logischen, rationalen Vorstellung gefolgt seid?»
    «Ja.»
    «Darf ich es fotografieren?»
    Aber was war denn nur so besonders an seinem Haus, dass der Amerikaner es fotografieren wollte? Manchmal waren die Leute wirklich verrückt!
    «Fotografiert es, soviel Ihr wollt!»
    «Ich möchte es auch von der anderen Seite fotografieren.»
    «Warten Sie einen Augenblick! – Cola!»
    Sein Sohn kam angelaufen.
    «Cola, dieser Herr möchte das Haus fotografieren. Steh ihm zur Verfügung! Sieh zu, ob er Wasser oder Wein trinken möchte!»
    Er verabschiedete sich und ritt nach Vigàta.
    Nach drei Stunden kam er zurück. Der Amerikaner war mit dem Fotografieren fertig, aber noch nicht gegangen.
    Er saß auf der Erde, den Rücken an einen Baum gelehnt, und zeichnete das Haus mit einem Bleistift auf großen weißen Karton.
    Neben ihm lagen andere, bereits mit Zeichnungen bedeckte Blätter. Der Amerikaner zeichnete das gesamte Haus, Zimmer für Zimmer, auch die Straße, die Zisternen, den Backofen, die Vorratskammer, die gelben und die grünen Mauern, einfach alles.
    «Nur noch fünf Minuten, und ich bin fertig», sagte er.
    «Lasst Euch nur Zeit! Ich gehe ins Haus.»
    «Einen Augenblick, entschuldigen Sie! Warum ist für Euch die Zahl Drei so wichtig?»
    Gnazio sah ihn völlig verdattert an.
    «Ich verstehe nicht ganz …»
    «Die Zimmer, ausgenommen eines, sind alle auf drei mal drei Meter gebaut, die Entfernung zwischen einem Bau und dem anderen beträgt immer drei oder sechs Meter.»
    Gnazio überlegte einen Moment.
    «Daran habe ich gar nicht gedacht. Aber es kam mir wie das richtige Maß vor.»
    «Ach so», sagte der Amerikaner.
    Während Gnazio sich wusch, weil er so verschwitzt war, hörte er, dass Resina auf dem Balkon des oberen Zimmers angefangen hatte zu singen. Ihre Stimme war so sicher wie die ihrer Mutter.
    Als er herunterkam, sagte Maruzza:
    «In einer Viertelstunde ist das Essen fertig. Soll ich auch einen Teller für diesen Herrn herrichten?»
    «Tu das!»
    Er ging hinaus, um den Amerikaner einzuladen. Dieses Mal fand er ihn stehend vor, in einer Hand hielt er ein neues Blatt und in der anderen einen Bleistift. Nun aber schrieb er.
    Er blickte Gnazio ganz verstört an.
    «Wer ist dieses Mädchen mit der Muschel, das da singt?»
    «Meine Tochter Resina.»
    «Wer hat ihr nur diese Lieder beigebracht?»
    «Keiner. Sie erfindet sie alle selbst. Oder vielleicht hat sie sie von meiner Frau gelernt, die noch besser singt als sie.»
    «Hat Eure Frau etwa Musik studiert?»
    «Aber woher!»
    Da erst merkte Gnazio, dass der Amerikaner so etwas wie ein Notenblatt gezeichnet und darauf die Noten der Lieder eingetragen hatte, die Resina sang.
    «Aber Ihr versteht ganz sicher was von Musik!»
    «Ja. Ich habe in New York Violine studiert, und dann bin ich nach Europa gekommen, nach Deutschland, um mich noch besser ausbilden zu lassen. Doch dann habe ich in Hamburg gemerkt, dass meine eigentliche Begabung nicht in der Musik liegt, sondern in der Malerei. Aber lasst mich weiter zuhören, ich bitte Euch. Eure Tochter ist … Sie ist ein Wunder.»
    Resina hörte auf.
    «Sagt ihr bitte, sie soll weitersingen.»
    «Resinù, willst du nicht noch etwas singen?»
    «Nein», sagte das Mädchen und ging hinein.
    «Tut mir leid. Sie hat einen eisernen Willen; wenn sie etwas sagt, dann ist das so. Mögt Ihr mit uns essen?»
    «Sehr gerne. Sagt mir doch eines: Mit Eurem Sohn Cola habe ich mich ausgezeichnet durch Zeichen verständigt. Er hat mir gesagt, dass er und sein Bruder in dem Zimmer auf der ersten Etage rechts schlafen, in der Mitte Ihr und Eure Frau und in dem linken Zimmer die Mädchen und dass die Türen des rechten und des
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