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Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge

Titel: Die Flüchtlinge
Autoren: Marta Randall
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Angst“, flüsterte die Gemahlin plötzlich. Hart sah sie fragend an. „Ich glaube, ich werde sterben. Meine Mutter starb, als mein Bruder geboren wurde. Er starb auch. Ich möchte nicht … Ich habe Angst.“ Sie befeuchtete ihre Lippen und sah Hart an. „Hat man auf anderen Planeten keine Möglichkeiten, die Sache leichter zu bewerkstelligen? Dort gibt es doch sicher Möglichkeiten, die verhindern, daß eine Frau dabei stirbt. Das haben mir meine Freundinnen erzählt. Ich weiß zwar, daß das ungesetzlich ist, aber die Möglichkeiten sind vorhanden, nicht wahr?“
    „Diesem Gesicht glaube ich auch nicht“, sagte Hart.
    Sie setzte sich in ihrem Stuhl zurück und trommelte mit den Fingerspitzen auf ihrer Bauchdecke herum. „Man hat mir gesagt, daß mit Ihnen schwierig zu reden ist“, sagte sie.
    „Ich versuche die Erwartungen, die man in mich setzt, zu erfüllen.“ Hart streckte die Hand nach Spider aus.
    „Noch nicht“, sagte die Gemahlin des Regenten. „Ich vermute, daß Ihr Kind die Bezahlung für das meine ist. Vielleicht wird Ihr Sohn auch die Bezahlung für mein Leben sein.“
    Hart hielt mitten in der Bewegung inne und schaute sie ausdruckslos an.
    „Meine Mutter blutete sich zu Tode. Vielleicht erwartet mich das gleiche Schicksal. Vielleicht bekomme ich aber auch ein Fieber, von dem ich mich nie wieder erhole. Wenn man die Möglichkeiten dazu hat, lassen sich solche Dinge schnell arrangieren. Ich habe aber nicht die Absicht zu sterben!“
    Hart zuckte die Achseln. „Bei Frauen, die ihr erstes Kind bekommen, ist das eine allgemein verbreitete Sorge, Madame. Aber Ihre Befürchtungen entbehren jeder Grundlage, und …“
    „Seien Sie kein Narr, Menet. Ich bin jedenfalls keiner. Sie haben das alles von Anfang an vermutet. Was mich angeht, so brauchte ich für meine Befürchtungen lediglich eine Bestätigung. Ich werde mein Kind in einer Woche zur Welt bringen.“ Sie drückte sich aus dem Stuhl hoch und baute sich vor ihm auf. „Sie stehen zwar unter dem Schutz meines Onkels, aber man hat mir gesagt, daß ich Ihnen trotzdem vertrauen kann. Ihm sollten Sie jedenfalls nicht vertrauen. Man kann Sie und Ihren Sohn ebensoleicht aus der Welt schaffen wie mich. Und lebend sind Sie eine Gefahr. Wenn Sie mir beistehen, garantiere ich Ihnen, daß Sie beide den Planeten sicher verlassen können!“
    „Man schütze und bewahre mich vor Frauenhänden“, sagte Hart wütend.
    „Es sind wahrscheinlich nur Frauenhände, die Sie schützen und bewahren können“, erwiderte die Gemahlin. „Helfen Sie mir. Wenn Sie es nicht tun, kann ich nichts gegen sie unternehmen. Es hätte dann auch keinen Zweck mehr.“
    „Wenn ich Ihnen helfe und dabei erwischt werde, sind wir alle tot.“
    „Wenn Sie mich retten, können Sie sofort verschwinden.“
    „Und wie?“
    „Vertrauen Sie mir.“
    „Eher traue ich den Gezeiten der Sterne.“
    Sie schüttelte den Kopf. „Sie sind ein Außenweltler, Menet. Sie können das komplexe Gerangel, das hier um Erbfolgen und Machtpositionen tobt, nicht begreifen. In vielen Fällen wären Sie gut beraten, wenn Sie mir nicht trauen würden. Aber in diesem einen Fall müssen Sie es einfach.“
    Spider zerrte an Harts Ärmel. Er hob den Jungen auf den Arm.
    „Sie werden mich morgen abend untersuchen“, sagte die Gemahlin. „Sagen Sie mir dann, wie Sie sich entschieden haben.“ Sie drehte sich um und ging den grasbewachsenen Abhang hinauf. Sie ging, als hätte sie Plattfüße. Hart warf einen Blick auf die Palastfenster. Jem Stonesh stand dort oben und sah zu ihnen hinunter, aber es war unmöglich, seinen Gesichtsausdruck zu erkennen.
    „Bist du schon mal draußen gewesen, in der Stadt?“ fragte Hart den Jungen. Spider schüttelte den Kopf. „Möchtest du mal dort hin?“
    „Ja!“
    Hart sah noch einmal den Erzbischof an, dann trug er den Jungen zum Tor. Niemand hielt sie auf.
    Possenreißer und Gaukler gaben ihre Vorstellungen am Straßenrand und erschreckten die Fußgänger mit ihren Rasseln. An den Ecken waren Stände aufgebaut, die Eis und kandierte Früchte feilboten, und bald darauf war Spider völlig mit den Rückständen klebriger Süßigkeiten bedeckt. Am frühen Abend gingen sie an den Kai, sahen sich die funkelnden Laternen der Leichtschiffe an, die die Meere besegelten. Der Wind schmeckte nach Salz und Fisch. Spider legte den Kopf auf die Schulter seines Vaters und brummelte schläfrig. Die Mengen der Besucher teilten sich. Überall wurde geredet und Flöte gespielt. Die
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