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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve
Autoren: Friedrich Glauser
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Pater, »Ich... habe es gemerkt, als man mir den Mann vorstellte. Aber ich wollte nichts sagen. Ich mag mich nicht in fremde Angelegenheiten mischen!«
    »Es ist nur gut, daß ich Louis gewarnt habe. Aber nun machst du kurzen Prozeß mit ihm, nicht wahr, Louis? Ein Kriegsgericht – und dann an die Wand. Ich werde als Zeugin erscheinen. Und Onkel Matthias auch.«
    »Ja. Mauriot, Sie können den Gerichtsschreiber machen. Wir nehmen noch die Adjutanten Cattaneo, den Sergeanten Schützendorf und zwei Korporäle...«

Die Verhandlung
    Der Mann schwieg. Er hockte auf dem Zementblock, der ihm als Bett diente, rutschte ein wenig gegen die Hintermauer und lud Studer mit einer Handbewegung zum Sitzen ein. Dann musterte er ihn genauer, spitzte die Lippen, pfiff, spuckte aus und meinte:
    »Ein Zivilist! Was willst du hier?«
    Studer zucke mit den Achseln. Der Mann sprach ein gutes Französisch, aber man merkte es der Sprache dennoch an, daß der Mann Ausländer war.
    »Vo wo bisch?« fragte Studer. Der Mann zog die Augenbrauen in die Stirn. »Vo Bärn«, antwortete er kurz.
    »Ig au...«
    »Soso... Du au...« Schweigen. Zwischen zwei Bohlen der Türe war eine Ritze und ein Sonnenstrahl drang in die Zelle. Er ließ viel Staubkörnchen tanzen...
    Das vergitterte Fenster aber lag im Schatten, denn das Wellblechdach sprang vor. Der Mann zog ein Kartenspiel aus der Seitentasche seines Uniformrockes und begann auf dem schmalen Streifen des Zementblockes, der zwischen seinem Körper und der Mauer war, die Karten auszulegen.
    Was er da mache? fragte der Wachtmeister. – Eh, Kartenschlagen. Aber es kämen immer schlechte Karten. Immer der Schaufelbauer... – Wie damals z'Basel und z'Bärn, meinte Studer nebenbei.
    Der Mann zeigte kein Erstaunen. Er nickte nur, verträumt.
    »Exakt«, murmelte er. Damals habe es angefangen.
    Und was denn der Schaufelbauer bedeute? Den Tod?
    Der Mann schüttelte müde den Kopf.
    »Den Tod? Dumms Züüg! I selber bin dr Schuufelbuur...«
    Der Mann mischte wieder die Karten. Es war ein seltsames Geräusch in der Stille. Und dann fragte er, ob der Kamerad aufs Maul hocken könne.
    »Sowieso«, erwiderte Studer. Er saß auf dem Zementblock in seiner Lieblingsstellung, die Unterarme auf den Schenkeln, die Hände gefaltet, und starrte zu Boden.
    Klatschen der Karten, Stille, wieder das Klatschen. Ein paar Worte, Schweigen, Klatschen... Ein paar Worte, Schweigen. Studer blicke nicht auf, obwohl dieses Stillsitzen ihm Qualen verursachte. Da saß neben ihm ein alter Mann – und der Mensch litt. Es war heillos schwer, sich zu beherrschen, nicht aufzustehen, dem Mann die Hand auf die Schulter zu legen und ihm zu sagen: »Du bist ein armer Kerl, schlecht haben sie es dir gemacht, sie haben dich aufgeweckt aus deinem sechzehnjährigen Schlaf – du hattest vergessen, sie haben dich gezwungen, die Vergangenheit neu zu erleben, nur damit ein Konzern Ölquellen erschließen kann. Und jetzt? Wird man dich jetzt in Ruhe lassen? Nein. Man wird dich weiter quälen, quälen... Es ist doch besser, daß ich den Zahnarzt mache, bei mir geht's schmerzloser...«
    »Willst du mir einmal die Karten schlagen?« fragte Studer.
    »Gärn!« sagte der Mann. Bis jetzt hatte er dem Wachtmeister den Rücken zugewandt, nun drehte er sich um. Ein Gesicht voll Falten... Der Pater hatte es nicht schlecht beschrieben, damals in der kleinen Beize bei den Pariser Hallen. Ein Gesicht, wie man es manchmal an verkrüppelten Kindern sieht, traurig und alt. Stoppeln am Kinn, einige Borsten über der Oberlippe... Und ganz verschwommen nur, wie bei einer Aufnahme, auf die durch Zufall Licht gefallen ist, schimmerte durch die vergrämten Züge ein anderes Gesicht hindurch – das Gesicht, dessen vergrößertes Abbild über dem Bette der Sophie Hornuss in der Wohnung an der Gerechtigkeitsgasse gehangen hatte...
    Und der Mann mischte die Karten. Seltsam dünn und wie zerfasert drangen die Geräusche des Postens durch die Ritze zwischen den beiden Bohlen der Tür: Klappern von Mauleselhufen – und Studer dachte an seinen Friedel, mit dem er tiefsinnige Gespräche geführt hatte auf der Straße zwischen Bouk-Toub und Géryville; Schleifen genagelter Schuhe auf der harten Erde – und Studer sah den Weißen Vater auf dem Ruhebett liegen, in der Wohnung auf dem Kirchenfeld, und die offenen Sandalen hatten Sohlen, die sich nach oben bogen... »Wie weit die haben wandern müssen, gell Vatti!« sagte Frau Studer – in der Ferne knallten Schüsse,
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