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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)
Autoren: Madison Smartt Bell
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den Strandbuggy zum Laufen gebracht, vermutete ich.
    Wir gingen schwungvoll gemeinsam durch die Saloontür nach draußen, stießen mit den Hüften aneinander. Dann erstarrte ich, denn am Ende der Straße stand eine Frau vor der Morgensonne, die langen Beine gespreizt wie bei einem Revolverhelden. Eine wunderschöne Frau, wie ein Filmstar. Sie trug Jeans und ein orangegelbes Tanktop, und um den Oberarm hatte sie eine Art Schlangenarmband. Ihr langes Haar war spröde und stachelig wie Stroh, in der Sonne glänzte es goldfarben. Sie hatte hohe Wangenknochen und Katzenaugen, und obwohl sie eindeutig in unsere Richtung blickte, schien sie uns nicht zu sehen.
    »Wer ist das?« fragte ich und merkte, dass ich flüsterte.
    »Das ist Eerie.« Laurel hakte sich bei mir ein und zog mich herum. »Sie ist auf ihrem ganz eigenen Trip. Kümmere dich nicht um sie.«

22
    Als wir uns an den Teergruben begegneten, war das nicht das erste Mal, dass D. und ich uns am selben Ort befanden. Vielleicht das erste Mal, dass wir uns richtig wahrnahmen. Aber unsere Wege hatten sich vorher schon gekreuzt, und nicht nur im Haight … wo D. mit seinen Blumengirlanden und seinen kleinen Mädchen eine ziemlich bekannte Figur gewesen war. Aber er kannte sich in Tenderloin ebenso gut aus wie im Haight, genau wie ich.
    Ich war ein paarmal an dem Haus in der Cole Street vorbeigegangen. Hatte ein Mädchen gesehen, das sich in Makramee-Weste und mit kastanienbraunem Haar im ersten Stock aus dem Erkerfenster lehnte und eine Kette aus Kleeblüten herunterbaumeln ließ. Sie reichte fast bis zur obersten Treppenstufe unter dem Fenster. Vielleicht war ich sogar ein- oder zweimal auf einer Party in dem Haus, aber meine Erinnerungen an diese Zeit sind ein bisschen verschwommen; die Partys mit Airplane und The Dead waren allerdings eindeutig besser. Ich glaube auch nicht, dass ich D.s Seminare auf der Cole Street besuchte, obgleich ich wohl wusste, dass er sie gab, es sprach sich herum, vielleicht hingen auch Plakate aus. Es war das gleiche Gerede, das wir auch auf der Ranch zu hören bekamen. Doch als die Haight-Szene auf ihrem Höhepunkt war, kam D. nicht mehr richtig gegen die Rockstars an, die ja alle praktisch gleich um die Ecke waren. Er musste das VOLK in die Wüste führen, damit es ihm die angemessene Aufmerksamkeit schenkte.
    Ich war damals nicht besonders aufmerksam, aber ich konnte sehen, wie die Keimzelle des VOLKES entstand. Die Gruppe um D. hatte schon ihre ganz eigenen seltsamen Schwingungen, dieses angespannte Knistern, wenn sich alle in demselben engen, verschwurbelten Gedankenmuster bewegen. Ich spürte es, wenn ich an ihrem Haus vorbeikam oder wenn sie manchmal das Calm Center im Psychedelic Shop in Beschlag nahmen und sogar bei den Gratiskonzerten im Panhandle Park. Bei solchen Gelegenheiten riss ihr komplexer Energieknoten gelegentlich auf und ordnete sich neu unter dem Einfluss der Musik und der Bewegungen sehr viel größerer Menschenmengen.
    Damals hörte ich die Stimmen nicht, oder sie sagten noch nicht viel zu mir. Nur manchmal meinen Namen.
Mae. Mae ...
Ich war noch nicht von der Vorstellung gepackt worden, dass die Stimmen, die Laurel und ich hörten, von D. kamen oder durch ihn. Sie boten mir lediglich halb geformte Silben, seufzten im Wind ...
    Damals wohnte ich nirgendwo richtig. Das tat keiner von uns oder kaum einer. Wir liefen wie Wellen in den Matratzenunterkünften auf und verschwanden wieder oder schliefen in warmen Sommernächten in den Parks. Eine Nacht im Gefängnis war immer eine Möglichkeit, und es waren nicht genug Zellen da, um die Leute lange festzuhalten. Und unten in Tenderloin hatte Louie eine Bude, die ich benutzen durfte, wenn ich arbeitete.
    Ich habe ein Bild von D. im Panhandle vor Augen: ein Tuch um den Hals geknotet, das Haar und der Gesichtsausdruck weich, die Augen halb geschlossen, von der Musik verklärt. Bestimmt hängt irgendein Mädchen an ihm oder auch zwei – Creamy und Crunchy waren schon da, vielleicht war auch Stitch dabei. Es muss O.s großer Gratisauftritt im Park gewesen sein, als er auf dem Höhepunkt seines Ruhms stand, in jener strahlenden Zeit, bevor Eerie verloren ging; als der Sonnenuntergang seine Mischlingshaut vergoldete und er die Gitarre hob und so in die Sonne hielt, dass die Saiten in roten Strömen aus Licht davonflossen.
    D. in einer anderen Umgebung zu sehen war, als sähe ich einen anderen Mann – er hatte etwas Chamäleonartiges an sich. Einmal kam ich frühmorgens gerade
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