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Die Farbe Der Leere

Die Farbe Der Leere

Titel: Die Farbe Der Leere
Autoren: Cynthia Webb
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kann, der zulässt, dass dreizehnjährige Mädchen cracksüchtige Babys zur Welt bringen. Und den ganzen anderen Scheiß da.« Sie schwenkte die Hand in Richtung der Aktenberge auf ihrem Tisch, dann griff sie, ohne auf eine Antwort zu warten, zum Telefon.
    »Katherine, sag mir, dass du nicht glaubst, es wäre deine Schuld.«
    Katherine hielt inne, den Hörer in der Hand. »Natürlich nicht.« Sie tippte eine Nummer ein. Bevor sie die letzte Zahl drückte und den Hörer ans Ohr legte, sagte sie: »Frag Diane gelegentlich mal nach dem Farrely-Fall.«
    Aber Annie war sich ziemlich sicher, dass sie das lieber nicht wissen wollte.

4
    Fast fünfzehn Jahre lang war Katherine an jedem Werktagsmorgen mit der Linie D nordwärts gefahren. Und zwar in einem nahezu leeren U-Bahn-Wagen, weil sie gegen den Strom der Pendler schwamm, die stadteinwärts nach Manhattan unterwegs waren. Auf dem Heimweg saß sie dann wieder in einem leeren Waggon, während die Züge, die zurück in die Bronx fuhren, aus allen Nähten platzten. (»Das hätte dir eine Warnung sein müssen«, hatte Diane erklärt, als Katherine ihr das erste Mal von ihrem Lachs-schwimmt-gegen-den-Strom-Erlebnis erzählte. »Wenn alle anderen in Gegenrichtung streben, solltest du denken: Ich tu hier bestimmt was ganz Blödes.«)
    Vor gut drei Monaten hatte sie Barry verlassen, das gemeinsame Apartment aufgegeben und ihm auch gleich den gesamten gemeinsamen Freundeskreis überlassen. Die besagten Freunde waren davon, dass sie aus Manhattan wegzog, weit mehr überrascht als davon, dass sie Barry verließ. Sie hegten die unerschütterliche Überzeugung, dass ›die Bronx‹ als Kürzel stand für ausgebrannte Wohnblocks voller verwilderter Jugendlicher, die sich drohend an den Straßenecken zusammenrotten, während im Innern der schäbigen verfallenden Gebäude alles haust, was man sich unter der ekelhaften, verkommenen und zutiefst bösen Kehrseite der Zivilisation vorstellt. Ausnahmen bildeten allenfalls das Yankee-Stadion und der Botanische Garten.
    Katherine aber war nach Riverdale gezogen, in ein ruhiges, baumreiches Randviertel der Bronx mit teuren Häuschen, netten Apartmentkomplexen und ausgedehnten Grünanlagen am Ufer des Hudson.
    Barrys Attitüde wohlmeinender Toleranz gegenüber ihrem Beruf brachte sie auf. Schlimmer noch, alle ihre Freunde teilten seinen Standpunkt.
    Er hatte über die Jahre immer wieder Bemerkungen fallen lassen, wie gut alles wäre, wenn sie es bewerkstelligen könnte, sich ans Gericht von Manhattan versetzen zu lassen. Aber in all den Jahren war so eine Versetzung nie zustande gekommen. Was sie nicht weiter wunderte, sie hatte sie nämlich nie beantragt.
    Später klammerte er sich an die Hoffnung, sie würde in die Verwaltung des Zentralbüros Downtown befördert. Sie war doch so besessen von ihrer Arbeit. Die Sahne setzt sich immer oben ab, pflegte er zu sagen.
    Auch dazu kam es nicht. Barry verstand das nicht, fragte sie jedoch niemals direkt nach dem Grund.
    Katherine zollte seiner großzügigen Haltung keineswegs die gebührende Anerkennung. Vielmehr entwickelte sie im Laufe der Jahre einen abartigen Stolz auf den unvorteilhaften Nimbus ihrer Arbeit und auch der Gegend, wo sie ihr nachging. Und während sich Abendessen unter Freunden an Cocktailpartys reihten, fand Katherine es von Jahr zu Jahr schwerer, Interesse zu heucheln, wenn es um die Jobs ihrer gemeinsamen Bekannten ging. Die meisten schienen nichts anderes zu tun, als Vermögen von einem Reichen zum anderen zu transferieren.
    Jahrelang hörte sie zu, wie sie über Beförderungen diskutierten, über Einrichtungsstile, Urlaubsziele und später ihre Sommerhäuser. Dann, scheinbar über Nacht, kamen die Themen Schwangerschaft, Fruchtbarkeitsklinik und Auslandsadoption.
    Katherine hatte zu solchen Gesprächen nichts beizutragen, aber sie hatte die Macht, diese Konversationen zum Stillstand zu bringen, indem sie sagte: »Ich arbeite in der Bronx«, und auf die unausweichliche Reaktion wartete.
    »Ich kann nicht glauben, dass du sie jeden Tag dahin lässt«, hatte einer von Barrys Partnern einmal gesagt. »Bitte sag nicht, du lässt sie mit der U-Bahn fahren.«
    Jetzt parkte Katherine ihren zerbeulten kleinen Honda quer zu der Reihe von Eichen gegenüber dem Komplex aus ein- und zweistöckigen Apartments, in dem sie nun wohnte. Das kastenartige Bauwerk bestand aus vier geraden Apartmentfronten, die einen begrünten Innenhof einschlossen. Die Privilegierten, die hier ein ›Townhouse‹
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