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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan
Autoren: Oliver Henkel
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ihr danach noch für eine Weile in den Gliedern. Und als er sich schon längst verflüchtigt hatte, ärgerte sie sich noch immer über ihre Reaktion. Hatte sie denn nicht gelesen, dass über die Hälfte der Bewohner Karolinas Neger oder Mulatten waren? Aber einem von ihnen so unverhofft und nah gegenüberzustehen, war dann doch etwas ganz anderes. Glücklicherweise hatte der Schutzmann Nachsicht gezeigt und Amalie, deren Befangenheit nur langsam gewichen war, mit größter Aufmerksamkeit geholfen.
    Während er ihr eine Kutsche herbeiholte, hatte sie sich wie die übrigen mit der
Suebia
eingetroffenen Reisenden ins Zollamtsgebäude begeben, wo zwei grünuniformierte Douaniers mit argusäugigem Misstrauen jedes Gepäckstück inspizierten. Schließlich fuhr das Schiff unter der Flagge Hamburgs, das nicht wie Preußen dem Zollverein angehörte. Im Unterschied zu den Offizieren der USS
Brazeau,
die bei der Überprüfung des Schiffes äußerst höflich gewesen waren und sich mit einer raschen und ergebnislosen Inspektion der Laderäume begnügt hatten, ohne die Passagiere zu behelligen, verhielten sich die Zollbeamten recht barsch. Ihr Interesse schien nicht so sehr eingeschmuggelten Wertsachen zu gelten als vielmehr verbotenen Schriften. Amalie hatte vermeint, ein triumphierendes Leuchten in den Augen der Zöllner zu sehen, als sie ihre vielen Bücher entdeckten; und dann abgrundtiefe Enttäuschung, als sie feststellen mussten, dass es sich nur um Schulbücher handelte, allesamt genehmigt und empfohlen vom preußischen Ministerium der geistlichen-, Unterrichts-und Medizinalangelegenheiten.
    So unangenehm die Kontrolle auch gewesen war, hatte Amalie sie schließlich doch ohne Beanstandungen hinter sich gebracht und mit allen anderen Reisenden das Zollgebäude verlassen können. Auf dem von dürren Bäumchen umgebenen gepflasterten Platz davor war bereits die Droschke vorgefahren, die der hilfsbereite Schutzmann ihr herbeigeholt hatte. Während ihre in Unordnung gebrachten Koffer verladen wurden, hatte sie sich noch von Theodor Fontane verabschiedet und war dann eingestiegen. Als sich die Kutsche in Bewegung setzte, wurde Amalie noch Zeuge, wie Herr Krüger gegenüber einem bedauernswerten Angestellten der Reederei seinem Unmut über den skandalösen Mangel an bereitstehenden Kutschen Ausdruck verlieh.
     
    Nun betrachtete sie also von der Brücke aus das Panorama Friedrichsburgs. So unauffällig wie möglich tupfte sie sich mit einem Taschentuch die Stirn ab. Passend zum Szenario, das sehr an ein Gemälde einer italienischen Küstenstadt unter südlicher Sonne erinnerte, war das Wetter drückend warm und schweißtreibend. Amalie hoffte inständig, dass diese Schwüle eher die Ausnahme als die Regel darstellte; sie hatte das Gefühl, in ihrem Korsett zu zerfließen. Das feuchtkalte, graue Oktoberwetter der Heimat sehnte sie sich jedoch trotzdem nicht herbei.
    Kaum hatte der Flussdampfer eine neben der Fahrrinne dümpelnde rote Boje hinter sich gelassen, da begann sich die Brücke lautlos wieder zu schließen. Langsam schwenkte ihr Mittelteil in seine ursprüngliche Position zurück. Die Eisenbahnschienen, die Straße und die mit Geländern gesicherten Gehwege verbanden sich wieder, untermalt nur von einer leichten Erschütterung und einem dumpfen metallischen Ächzen. Dann öffnete der Wärter die Sperrkette und gab durch dreimaliges Schwenken einer roten Fahne die Brücke frei.
     
    Während die Droschke weiterfuhr, den Fluss hinter sich ließ und durch die Stadt rollte, betrachtete Amalie mit großem Interesse alles, was an ihr vorbeizog. Schon alleine die tropisch anmutenden Palmettobäume, die hier anstelle von Linden als Alleebäume die breiten Straßen säumten, übten auf sie eine enorme Faszination aus. Sie hatte, mit Ausnahme einer kümmerlichen Topfpflanze, noch nie Palmen gesehen. Nun erst wusste sie wirklich, wie sie sich die Palmwedel vorstellen musste, mit denen Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem willkommen geheißen worden war.
    Auch die Ladenschilder an den schmucken weißen Häuserfassaden faszinierten sie. Neben vertrauten Namen wie Heinrich, Schmitt oder Prinz standen immer wieder auch englische, französische und sogar spanische. Ein Schaufenster trug gar die Aufschrift:
Weisswaaren-Magazin von Johann August Zwei-mutige-Adler.
    Aber alle diese exotischen Details fand Amalie längst nicht so bemerkenswert wie die Menschen, die sie in den Straßen Friedrichsburgs sah. Männer und Frauen aller denkbaren
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