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Die ewige Bibliothek

Die ewige Bibliothek

Titel: Die ewige Bibliothek
Autoren: James A. Owen
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Michael der einzige, von dem sie sich in jener Nacht verabschiedete – mit einem kalten, zornigen Glühen in den Augen. Sie hatte beschlossen, nicht mehr mit ihm zu sprechen, ein Schwur, dem sie all die Jahre hindurch treu geblieben war. Sogar als Elena im vergangenen Jahr nach langem beschwerlichen Kampf an einer Lungenentzündung starb, redete Meredith kein Wort mit ihm. Die Fahrt von Oxford nach Wien dauerte so lange, dass sie die Beerdigung verpasste. Und obwohl Michael später herausfand, dass sie beschlossen hatte, nach Wien zurückzukehren und sogar ihre Karriere als Photojournalistin in Angriff genommen hatte, betrat sie die Villa kein einziges Mal, noch suchte sie ihn an der Universität auf. Einige Monate nach Elenas Hinscheiden räumte er das Haus aus, das er so sehr geliebt hatte, und kehrte in die Innenstadt zurück.
    Die Wohnung im Herzen von Wien, direkt nördlich der Universität gelegen, war eine sensationelle Entdeckung. Sie bot kaum weniger Platz als die Villa – auf Michael aber wirkte sie noch größer, waren in ihr doch keine Geister zu Hause.
     

     
    Auslandsreisen besaßen für Michael einen großen Reiz, und die greifbare Möglichkeit, einfach die Hose herunterzulassen und der Universität seine schillernde Kehrseite zu zeigen, war äußerst verlockend. Wenn er die Universität Wien verließ, musste er keine Seminarpläne mehr aufstellen, sich nicht mehr rechtfertigen oder an Budgets halten – all jene notwendigen Übel, die eine Menge mit dem Lehrbetrieb zu tun hatten und so gut wie nichts mit dem Lehrstoff selbst. Es würde vermutlich auch das Ende seiner Laufbahn als geachteter Akademiker bedeuten, bedachte man, dass ein großer Teil seiner Glaubwürdigkeit auf dem Briefkopf der Universität beruhte, und dass ihn nach dem Fiasko um das Aethelberht-Schriftstück nur noch ein Forschungslabor in Dänemark oder das griechische Außenministerium einstellen würden.
    Dennoch war es mehr als sein Ruf, was ihn in Wien hielt – er glaubte, dass es Orte gab, an denen das Herz hing, und an diese Orte knüpften sich Bande, die stärker waren als Furcht, stärker als Liebe, sogar stärker als der Tod. Der einzige Ort, an dem er jemals eine vergleichbar starke Gefühlsregung verspürt hatte, war Bayreuth, während seiner alljährlichen Pilgerfahrt zum dortigen Festival.
    Außerdem galt es noch die Käufe zu bedenken, die er für die Universität getätigt hatte – wenn die Beamten des Fachbereichs nachlässig genug waren, ein drei Millionen Dollar teures Schriftstück verschwinden zu lassen, das sich weniger als einen Monat in ihrem Besitz befand, dann war der Rest der Sammlung so sicher wie eine Henne im Fuchsbau. (Obwohl er argwöhnte, dass das Verschwinden des Aethelberht-Schriftstücks möglicherweise mit dem Eingang einer beachtlichen Spende an die Universität seitens eines anonymen britischen Wohltäters zusammenhing, dessen Scheck ein königliches Siegel trug.) Wenigstens genügten die Bandbreite, der Umfang und die offensichtliche Qualität der Bücher und Schriftstücke, die Michael angehäuft hatte, um ihm eine Fußnote in jedem Forschungsjournal der nächsten fünfzig Jahre zu sichern.
    In den Vereinigten Staaten wusste man von mindestens drei Vorläufern der Unabhängigkeitserklärung, doch erst Michael Langbein hatte das von Thomas Jefferson mit Anmerkungen versehene Pergament entdeckt, das die Grundlage für die wohlbekannte Urkunde darstellte. Offensichtlich war es von einem Holländer geschrieben worden, der im sechzehnten Jahrhundert bei den Irokesen gelebt hatte. Dieses Geschäft hatte die Universität Wien davon überzeugt, die Abteilung für Ältere Literatur und Geschichte zu finanzieren – die Summe, die die Vereinigten Staaten dafür gezahlt hatten, das dünne Schriftstück aus geklopfter Baumrinde »zurück zu kaufen«, genügte der Universität, um damit die gesamte Zentralbibliothek für Physik zu finanzieren.
    In den drei Jahren von Michaels Professur war dies der einzige Verkauf gewesen; alles andere war in der Bibliothek verblieben.
    Es gab einen frühen Entwurf der Magna Charta – vermutlich der einzige, in dem die Invasion von Ägypten als ein Grundrecht des englischen Adels festgelegt wurde. Es handelte sich dabei wahrscheinlich nur um Bemühungen König Johanns, den Adel zu beschwichtigen und seine Macht über das Land aufrecht zu erhalten. Sie gelangten jedoch nicht in die Endfassung, die er ohnehin nicht einzuführen gedachte. Aus diesem Grund baten die
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